AvaNinian - Drittes Buch (German Edition)
ihre jämmerliche Lage stellte sich im kalten Frühlicht so recht vor seine Augen. Er vermisste die Stadt und die Vorstellung, wie weit er von den vertrauten Straßen entfernt war, bedrückte ihn mehr als er für möglich gehalten hatte. Die ersten Tage seiner unfreiwilligen Reise mit Vater Dermot fielen ihm ein und erst jetzt verstand er den scharfen Schmerz, den er damals neben seiner ohnmächtigen Wut empfunden hatte. Sehnsucht nach Dea ...
Bestürzt merkte er, dass ihm sogar Wag und Kamante fehlten, das vertraute Quietschen der kleinen Mühle, der Duft des schwarzen Getränks. Kahwe - wie lange würde es dauern, bis er wieder Kahwe trinken würde?
Halb vorwurfsvoll, halb Trost suchend sah er zu Ninian hinüber. Ihr Rücken schimmerte blass aus dem braunen Laub und auf ihrem linken Schulterblatt prangte ein blauroter Bluterguss. Auch sie wirkte verfroren. Ein Zucken lief über ihren Leib, als ein Tropfen auf ihren Nacken fiel. In der Nacht hatten sie einander gewärmt. Er kroch dicht an sie heran und schlang die Arme um sie. Sie rührte sich und schmiegte sich seufzend an ihn. Obwohl sie nicht wärmer war als er, genoss er es, ihren nackten Körper zu spüren. Wenigstens auf diese Freude musste er nicht verzichten. Er schob seine Hände unter ihre Arme und vergrub seinen Mund in den feuchten Löckchen, die sich in ihrem Nacken ringelten.
»Iih, du bist kratzig«, murmelte sie schlaftrunken, aber sie entzog sich ihm nicht. »Was machst du denn?«
»Ich such die Stellen, wo’s warm ist.«
»Aber du hast kalte Finger ...«
»Das wird sich schon geben, Süße.«
Er widmete sich seiner Suche mit Hingabe und ihr Verlangen entzündete sich an dem seinen. In der süßen Glut, die sie vereinte, vergaßen sie Kälte, Hunger und den harten, unebenen Waldboden, bis sie durchwärmt und gesättigt einschliefen.
Als Jermyn das nächste Mal erwachte, war es heller Tag. Der Dunst über dem Fluss hatte sich aufgelöst. Durch die Bäume sah er sonnenüberflutetes Wasser, das in glitzernden Wellen dahineilte.
Ninian lag nicht mehr neben ihm, aber bevor er unruhig werden konnte, kam sie vom Fluss herauf. Als sie sah, dass er wach war, winkte sie aufgeräumt und lief die letzten Schritte auf ihn zu, dass das trockene Laub um ihre Knöchel wirbelte. Ihr Haar war nass und sie schlug die Arme um sich.
»Komm, ich habe einen kleinen Tümpel entdeckt, da kann man baden.«
Er verzog das Gesicht. »Schon wieder ins Wasser? Ich hab noch von gestern genug, bestimmt ist es kalt und dreckig.«
»Unsinn, es ist nur ein kleines Becken zwischen zwei Felsen. Das Wasser ist ganz klar und die Sonne hat es aufgewärmt. Oder gefallen dir die Erdkrümel überall?«
Er sah an sich herab und fand, dass sie recht hatte. Auf seinem Rücken krabbelte es beunruhigend und so ließ er sich hochziehen.
Hand in Hand wanderten sie zum Fluss. Als sie aus dem Schatten des Waldes traten, stach ihnen die Sonne in die Augen, der Tag versprach, heiß zu werden wie die vergangenen. Der Himmel wölbte sich hoch und klar über ihnen, von dem Unwetter war nichts zurückgeblieben. Selbst der Fluss, der Jermyn wie eine reißende Bestie erschienen war, hatte seine Schrecken verloren und plätscherte harmlos dahin.
Sie liefen ein Stück am Ufer entlang, dann wichen die Bäume zurück und helle Felsen ragten vor ihnen auf. Der eine stieg wohl zwanzig Fuß hoch senkrecht aus dem Wasser, bekrönt von wenigen, armseligen Kiefern. An seinem Fuß schoben sich zwei flache, tafelförmige Steine weit in den Fluss hinaus. Zwischen ihnen lag ein kleines, geschütztes Becken, das kaum von der schnellen Strömung berührt wurde. Man musste von dem südlichen Tafelfelsen hineinklettern, aber er war vom Wasser so ausgehöhlt, dass es ihnen keine Mühe machte, ihn zu erklimmen.
Auf dem sonnenheißen Stein lagen ihre Kleider ausgebreitet. »Sie waren immer noch klamm und schlammig, deshalb hab ich sie ausgewaschen. Hier werden sie bald trocken sein«, erklärte Ninian und fuhr prüfend mit den nackten Zehen über die schwarzen Kittel.
Sie kletterten in den ruhigen Teich. Ninian ließ sich nach ein paar Fuß fallen und kam prustend wieder an die Oberfläche. Sie schüttelte glitzernde Tropfen aus ihrem Haar und wischte sich das Wasser aus dem Gesicht.
»Komm schon, es ist herrlich!«
»Sachte, sachte«, murmelte er und ließ sich vorsichtig hineingleiten. Er schnappte nach Luft, als ihn das kühle Wasser umschloss, aber als er sich daran gewöhnt hatte und seine tastenden
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