AvaNinian - Drittes Buch (German Edition)
muss doch nicht gerade dieser Abend sein, am nächsten oder übernächsten ist es noch genauso schön.«
»Vielleicht, aber es war eben genau morgen vor einem Jahr. Mir ist das wichtig, Jermyn«, sie sah ihn bittend an, aber er wich ihrem Blick aus und ließ sie los.
»Mir auch, aber wir können an jedem Abend zusammen sein, während die Meisterspiele nur morgen sind. Und die sind mir auch wichtig, verstehst du? Zweimal bin ich nicht dabeigewesen, und morgen hat der Bulle als Meister von eigenem Recht Plätze für sich und seine Freunde auf der Ehrentribüne, ich muss nicht mal meinen Kopf anstrengen«, spottete er, aber Ninian erwiderte sein Lächeln nicht. Sie trat einen Schritt zurück, eine steile Falte stand auf ihrer Stirn.
»Am nächsten Tag spielen die Meister noch einmal vor dem Patriarchenpalast«, sagte sie mit schmalen Lippen, »soviel hab ich auch mitgekriegt, sie spielen sogar die entscheidenden Partien nach, großartig wie sie sind.«
»Das ist nicht dasselbe, und außerdem habe ich dem Bullen und Babitt zugesagt, dass ich komme.«
»Du kannst ihnen auch wieder absagen.«
»Ach, und mit welcher Begründung? Dass ich lieber mit meinem Mädchen den Mond anschaue, der morgen und übermorgen noch genauso schön scheint? Nee, mein Schatz, da mach ich mich ja zum Gespött.«
Ihr Gesicht war eine kalte Maske.
»So siehst du das? Ist das dein letztes Wort?«
Jermyn zuckte die Schultern, er ging zurück an das Gerät, nahm Schwung und machte dort weiter, wo er aufgehört hatte. Ninian stand einen Moment regungslos, dann klopfte sie den Kreidestaub am Kittel ab und marschierte ins Nebenzimmer.
Wenig später kam sie vollständig angekleidet zurück und würdigte Jermyn, der kopfüber von den Sprossen hing, keines Blickes. Er hörte, wie sie die Leiter hinunterstürzte und nach Kamante rief.
»Komm Mädchen, wir fangen was Sinnvolles mit unserer Zeit an und machen diesen saumseligen Handwerkern Beine!«
Ihre Stimme klang klar und zornig herauf und er wusste, dass die Worte ihm galten.
Das Geröll im Innenhof knirschte, prallte gegen die aufgestapelten Ziegelsteine, als habe jemand wütend dagegengetreten. Dann verhallten die Schritte, nichts war mehr zu hören als das Zirpen der Zikaden in der hitzeflimmernden Luft.
Mit zusammengebissenen Zähnen setzte Jermyn seine schweißtreibenden Übungen fort.
31. Tag des Hitzemondes 1465 p.DC.
Unter dem Dach des großen Pavillons staute sich die Hitze. Die Männer, die sich um das Spielfeld versammelt hatten, fächelten sich mit Schärpe oder Handschuh Luft zu. Draußen war es nicht besser, der weiße Kies auf den Wegen des Palastgartens blendete das Auge im gleißenden Sonnenlicht, aber die Spieler wendeten ohnehin kaum einen Blick von dem Plan.
Der Künstler hatte sich große Mühe gegeben: Im Höllenfeld fletschten Dämonen ihre Zähne inmitten züngelnder Flammen, allerlei Meeresgetier tummelte sich zwischen den blauen Wellen des Wasserfeldes, goldene Ähren glitzerten im Erdenfeld und bunte Vögel flatterten durch die weißen Wölkchen im Feld der Lüfte. Scharfkantige Kristalle markierten die verbotenen Felder, künstliches Moos aus grünem Samt die Ruhezonen. Im Himmelsfeld schließlich zogen Sonne, Mond und Sterne aus vergoldeten und versilberten Steinchen ihre Bahn auf einem Grund von Lapislazuli. Die Umrandungen der Felder und der Rahmen des ganzen Planes waren verschwenderisch vergoldet.
Der zweite Patriarch hatte dieses königliche Himmelsspiel in Auftrag gegeben, es wurde sorgfältig gepflegt und gegen die Unbilden der Witterung geschützt. Wenigen Auserwählten war es vorbehalten, dort zu spielen. Der neu gekürte oder bestätigte Meister, ermittelt auf den flüchtigen, rasch in den Staub gezogenen Spielfeldern in den Höfen, spielte hier seine Partie vor dem Patriarchen und seinem Hofstaat nach, wenn er seine Siegesprämie und die Urkunde zum Ehrenbürger bekommen hatte.
Heute trugen einige Edelleute, alle Mitglieder der Palastwache, eine Partie zu Ehren der kleinen Meisterspiele und des Jahrestages ihres Hauptmannes aus. Hier zu spielen war ein Vorrecht, das Eraste Battiste als Angehöriger eines alten Geschlechts und Haupt der Palastwache zustand. Seine Mitspieler durfte er nach eigenem Gutdünken wählen, aber manche mussten ihm genehm sein, ob er wollte oder nicht.
Die Männer bemühten sich, mit höflicher Aufmerksamkeit dem Geschehen zu folgen, aber gerade die jüngeren konnten ihre Ungeduld kaum verhehlen, einige versuchten nicht
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