AvaNinian - Drittes Buch (German Edition)
hätte, wäre damals nicht Ulissos’ scharfer Stahl in das Untier gefahren.
In dem Nebel verloren sich die Männer bald aus den Augen, aber nachdem er dreimal grässliche Schreie gehört hatte, wusste Ulissos, dass er allein in dem Labyrinth war. Ihn hatte noch kein Gaukelbild verwirrt, und voller Grimm machte er sich auf die Suche nach der Goldenen Quelle, damit der Tod seiner Freunde nicht vergebens war.
Plötzlich schlugen ihm Flammen entgegen, der Gestank brennender Leiber zerrte ihn zurück in das sterbende Klia, wie in seinen Alpträumen musste er die grausamsten Augenblicke seines Lebens auf’s Neue durchleiden: schwarzer Rauch quoll aus den Ruinen seines Hauses, die Todesschreie seiner Frau, seiner Kinder gellten ihm wie damals in den Ohren, und einem Felsen gleich fiel das Gefühl der Schuld auf ihn, dass er ihre Leichen unbestattet zurückgelassen, dass er es der Göttin gestattet hatte, ihn zu erretten, statt zu bleiben, um sie zu beweinen. Tiefe Verzweiflung ergriff ihn, er taumelte blindlings auf die gierigen Schlammgruben zu, als er in höchster Not den Schrei einer Möwe über sich hörte. Der harsche Klang fuhr durch das Gaukelwerk und holte ihn zurück in sein neues Leben. Demaris hatte sein Vorhaben entdeckt, sie wollte den Geliebten nicht verlieren und hatte die Gestalt des Seevogels angenommen, um ihn abermals zu retten.
Er folgte den misstönenden Rufen über die Irrwege ins tiefste Innere des Labyrinths. Nichts anderes fand er dort als einen großen Stein. Wieder kam ihm die Stimme aus den Lüften zu Hilfe. Auf ihr Geheiß rammte er den großen Speer Pylos in den Stein, er zersprang in tausend Stücke und darunter sprudelten die goldenen Wasser, die Dea lange Zeit Reichtum und Glück gebracht hatten.
Kaum war der Stein zerstört, verschwanden auch die Trugbilder. Die lathischen Götter beugten vor dem siegreichen Helden das Knie und gelobten Treue und guten Dienst. Sie hielten ihr Wort, aber niemals vergaßen sie ihren Groll und weder Busch noch Stein, weder Tier noch Vogel regte sich, als Ulissos in den Wassern des Neptos den Tod fand.
Davor jedoch lagen viele Jahre siegreicher Herrschaft und zum Andenken an seinen Sieg ließ Ulissos einen Irrgarten im Garten seines Palastes errichten. Seine Nachkommen taten es ihm nach und kein Palast, keine Villa entstand, die nicht in ihrem Inneren ein Labyrinth bargen, und war es auch nur ein Mosaik auf dem Boden der Eingangshalle, das böse Geister irreführen sollte. Die großen Labyrinthe wurden immer verschlungener und ausgedehnter und als sich die Herzen der Kaiser verfinsterten, füllten sie die Irrgärten mit grausamen, ausgeklügelten Fallen. Von hölzernen Brücken und Galerien herab ergötzten sie sich an den Todesqualen Verurteilter, die zwischen Richtblock und Labyrinth wählen mussten und sich in törichter Hoffnung für den Irrgarten entschieden hatten - das Schwert des Henkers gab einen schnelleren Tod.
Die Kaiser und ihre kranken Lustbarkeiten waren vergangen, aber die Sitte, im Schlosshof oder Garten ein Labyrinth zu errichten, hatte sich über die Zeiten gerettet, obwohl sie allmählich aus der Mode kam.
So gab es zwar auch in den vier Höfen des Patriarchenpalastes ein Labyrinth aus sorgfältig gestutzten Hecken und geharkten Wegen, aber es wurde eher aus Pietät den Ahnen gegenüber gepflegt als aus Neigung. Nur verliebte Paare, die Ruhe und Abgeschiedenheit suchten, wandelten dort und der größte Schrecken, der einem begegnete, war ein eifersüchtiger Galan oder ein gehörnter Ehemann.
Es fehlte nicht an Lauben und heimlichen Winkeln, in denen Verliebte einander beglücken konnten. Die Hecken waren nicht mehr so hoch und dicht und verschieden farbige Steine wiesen dem, der sich trotzdem verirrt hatte, den Weg zu einem Ausgang.
Im Mittelpunkt des Labyrinths erhob sich ein Pavillon aus dem kunstvoll beschnittenen Gezweig dunkler Lebensbäume und auf der Bank aus weißem Marmor waren zwei junge Leute in trautem Gespräch versunken. Der taubenblaue Rock der jungen Frau bedeckte den größten Teil der Bank und auf der kleinen Schleppe lag schlafend ein Hündchen. Der junge Mann trug die Uniform der Stadtwache, doch Wams und Hemd standen auf der Brust offen und den Degen hatte er abgelegt.
Sie saßen eng aneinandergeschmiegt, die Lippen der jungen Frau berührten das Ohr ihres Begleiters und ihre Hand verschwand in seinem geöffneten Hemd. Er hatte seinen Arm um ihre bloßen Schultern gelegt und den anderen um ihre schmale Mitte
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