AvaNinian – Erstes Buch (German Edition)
einmal stehen.
»Seid Ihr sicher, dass man Euch nicht belästigen wird? Duquesne lässt mich beobachten, er weiß, dass ich bei Euch war. Wenn er Euch jetzt verhaften lässt?«
Der alte Händler richtete sich stolz auf.
»Ganz so schutzlos, wie Ihr glaubt, bin ich nicht. Viele vornehme Männer der Stadt schätzen meine Dienste und von manchen weiß ich Dinge, die sie lieber geheim halten möchten. Der Patriarch gehört zu ihnen und nicht immer schätzt er den Eifer seines ... des Hauptmanns der Stadtwache. Seid unbesorgt und achtet lieber auf Euch selbst. Ich weiß nicht einmal Euren Namen.«
»Nennt mich Jermyn. Ich hoffe, dass wir bald wieder Kahwe zusammen trinken werden. Lebt wohl.«
Er ging und Vitalonga hoffte zum ersten Mal in seinem Leben auf den Erfolg eines Juwelenraubes.
15. Tag des Weidemondes 1464 p. DC
Den Rest des Tages und auch den folgenden verbrachte Jermyn an seinen Geräten. Er musste gut in Form sein, vor allem aber herausfinden, wie stark er die Wunde in seiner Seite belasten konnte. Sie brannte heftig, als er sich mit verbissenem Eifer von Sprosse zu Sprosse hangelte. Um sich abzulenken, prüfte er in Gedanken seine Ausrüstung. Das Seil aus Seidensträngen – er hatte es eigens in Auftrag gegeben und der Seiler hatte versichert, es sei das Beste, was er bieten könne. Dietriche aus bestem Stahl – der zunftlose Schmied, der in den tiefen Schatten eines verwahrlosten Hofes seine Esse schürte, hatte seine Erzeugnisse als jedem Schloss gewachsen gepriesen und einen saftigen Preis dafür genommen. Vitalongas Sandsack, der Bleibeutel, den er lieber benützte als den Dolch.
Wie bei seinen anderen Einbrüchen würde er die unscheinbare Tracht aus dem Haus der Weisen tragen und sein auffälliges Haar unter einem grauen Goller verbergen. Für seine Füße hatte er bei einem Trödler flache Füßlinge aus weichem, schmiegsamem Leder mit rauer Sohle gefunden. Am besten fühlte man ohne Schuhe, aber aufgeschürfte, schmerzende Zehen mit eingerissenen Nägeln konnten ihn den Kopf kosten. Die Füßlinge hatten einem Gaukler gehört, der auf dünnem Seil seine Kunststücke gemacht hatte. Ein falscher Tritt und die Truppe war um ein unglückliches Mitglied ärmer gewesen. So hatte es der Händler erzählt.
Jermyn zog eine Grimasse. Hoffentlich brachten ihm die Schuhe mehr Glück.
Nach dem Durchgang ließ er sich auf die verschlissene Matte fallen, die er mit Wag von den Abfallhaufen der Gladiatorenschulen geholt hatte. Jetzt die letzte Übung, die schwierigste.
Er schüttelte Arme und Beine aus, sprang an den vordersten Holm und schwang die Beine an die letzte Sprosse, die er erreichen konnte. Die Füße dagegen gestemmt, setzte er die Hände um und drehte sich, bis er die Matte unter sich sah. Die Arme in einem schier unmöglichen Winkel nach hinten gebogen, verharrte er in der unnatürlichen Stellung. Als er es nicht mehr ertragen konnte, drehte er sich um und ließ sich auf die Matte fallen.
Es dauerte eine Weile, bis das Brennen in seiner Seite abebbte, aber als er den Verband untersuchte, fand er keine Spur von Blut. Die Anstrengung hatte der Wunde nicht geschadet.
Er wusch sich, zog sich an und kletterte in die Fensteröffnung. Mit geschlossenen Augen beschwor er das Bild von der Palastanlage der Fortunagras herauf, wie er sie von der Stadtmauer aus gesehen hatte.
Schwarz und silbern liegen die Dächer unter ihm, über sie gelangt er zum Wachturm. Durch eine Dachluke oder ein unvergittertes Fenster dringt er in die Festung des Ehrenwerten ein. Gänge, Treppen, dunkel und menschenleer, führen zum Schlafgemach. Es spielt keine Rolle, ob Fortunagra schläft oder wacht, er wird den Eindringling nicht hindern können. Das Seeungeheuer öffnet den Weg in die Geheimkammer, der Sandsack ersetzt den Brautschatz. Ein schattenhafter Komplize lässt ihn heraus, sie kehren auf dem Weg zurück, den sie gekommen sind.
Eine fehlerlose Arbeit. Vollkommen. Und dann?
Nimmt Duquesne den Brautschatz in Empfang und brüstet sich damit vor dem Patriarchen und dem anderen edlen Pack. Heimst Ruhm und Ehre ein, während der Meisterdieb das Maul halten muss und mit einem mageren Drittel der Belohnung abgespeist wird – wenn er Glück hat.
Zur Hölle mit Duquesne!
Stechender Schmerz brachte ihn in die Wirklichkeit der Fensternische zurück. Im Zorn hatte er allzu heftig an seinem Zopf gerissen. Fluchend glitt er von seinem Sitz herunter.
Selbst wenn alles glatt ging, war er am Ende der Dumme. Und warum
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