AvaNinian – Erstes Buch (German Edition)
kaum verheilte Stirnwunde machten das hagere Gesicht nicht einnehmender. Und die Augen – der alte Mann erinnerte sich nur zu gut an ihre grausame Härte. Auch jetzt glühten sie, aber der junge Mann senkte den Blick, heute versuchte er es auf andere Weise.
Vitalonga sah keinen Grund, ihm zu helfen. Er würde sich nur in Gefahr bringen, Gefahr durch Fortunagra, durch Duquesne. Der Hauptmann hatte gedroht, ihn aus Dea zu vertreiben, wenn sein Name mit dem Raub des Brautschatzes in Verbindung gebracht wurde.
Er sollte sich mit höflichem Bedauern zurückziehen ...
Aber er war einsam. Seit vielen Jahren hatte er sich nicht mehr auf diese Weise ausgetauscht, leicht, in schneller Rede und Gegenrede, nicht mühsam jedes Wort auf seine Tafel kritzelnd.
Es schmeichelte ihm, wie der Junge sein überlegenes Wissen anerkannte und er hatte sein Brot mit ihm geteilt, keiner seiner hochgeborenen Kunden hatte das jemals getan – auch wenn er nur aus Berechnung gehandelt hatte. Den werbenden Worten war kaum zu widerstehen.
Vitalonga seufzte und zog die Waage neben dem Tisch näher heran. Die bärtigen Lippen bewegten sich murmelnd, endlich legte er drei Gewichte in die eine Waagschale. Er wandte sich zu Jermyn um, der ihn aufmerksam beobachtete.
»Dies entspricht ungefähr dem Gewicht des Brautschatzes. Ich kenne die Stücke, habe sie in der Hand gehabt und ich weiß, was Metalle und Steine wiegen. Ich werde einen Beutel mit Sand füllen, bis er das gleiche Gewicht hat, damit Ihr ihn gegen den Schatz austauschen könnt.«
»Seid Ihr sicher, was das Gewicht angeht?«
»Mit geringen Abweichungen, aber das macht nichts. Diese Mechanismen sind nicht so genau wie die Waage eines Goldschmieds. Ihr müsst mir eben vertrauen, junger Mann.«
Diesmal hielt er dem schwarzen Blick gelassen stand und schließlich zuckte Jermyn die Schultern.
»Ich vertraue euch, Vitalonga.«
Er unterdrückte den Drang, eine Drohung hinzuzufügen.
Während der Alte den Sack füllte, vertiefte Jermyn sich in die Pläne. Seit sie entstanden waren, hatte sich der Palast der Familie Fortunagra beträchtlich erweitert, so dass er jetzt an die alte Stadtmauer anstieß. Die neuen Gebäude waren nicht eingezeichnet, aber das Schlafzimmer unter dem Wachturm würde nicht schwer zu finden sein. Strich für Strich prägte er sich die Lage der Räume ein, bis er sicher war, sie jederzeit vor sein inneres Auge stellen zu können. Immerhin war es möglich, dass er scheiterte und Fortunagras Leuten in die Hände fiel. Wenn sie einen gezeichneten Plan von der Geheimkammer bei ihm fänden, wäre die Katze aus dem Sack und auch Vitalonga geriete in große Gefahr. Seykos' Leiche hatten die Verfolger durchsucht, obwohl es ein widerwärtiges Geschäft gewesen sein musste.
Jermyn schüttelte die Erinnerung ab. Seykos war alt gewesen und hatte gesoffen – er würde nicht wie sein Lehrmeister enden. Die Sorge um den Komplizen wurde er nicht so leicht los. Vitalonga hatte Goldnagels Worte in dieser Hinsicht bestätigt. Dadurch war er Duquesne ausgeliefert.
Der Händler berührte ihn an der Schulter und Jermyn fuhr aus seinen düsteren Gedanken. Er nahm den prall gefüllten Ledersack und hätte ihn beinahe fallen gelassen.
»Bei den Göttern, ist das Ding schwer.«
Vitalonga nickte bestätigend.
»Meteorsilber und das Diadem ... noch jede Braut der Castlerea hatte in der Hochzeitsnacht Kopfschmerzen.«
»So? Hoffentlich krieg ich nicht auch Schädelweh davon.«
Jermyn stand auf, hob den Sack auf die Schulter und sah den Alten an.
»Wünscht mir Glück, Vitalonga. Wenn ich Erfolg habe, ist das auch Euer Verdienst und Ihr sollt nicht leer ausgehen.«
Der Händler machte eine wegwerfende Handbewegung.
»Behaltet das Geld für Euch, junger Mann. Ich habe nur eine Bitte – wenn Ihr den Schatz habt, bringt ihn zu mir. Er ist berühmt über alle Maßen und für mich wäre es Belohnung genug, ihn noch einmal vor Augen zu haben und zu berühren. Außerdem kann ich Euch bestätigen, dass er vollständig ist.«
»Ich weiß nicht, ob ich es schaffe, wenn mir Duquesne auf den Fersen ist, aber ich will es versuchen. Lebt wohl und danke für Eure Hilfe und«, er warf einen Blick auf die Kanne und lächelte, »für Euren seltsamen Trank, mein Kopf ist tatsächlich ganz klar.«
Vitalonga verneigte sich würdevoll.
»Kommt jederzeit und teilt den Kahwe mit mir.«
Es klang wie eine höfliche Floskel, doch Jermyn spürte, dass er es ernst meinte.
Unter der Tür blieb er noch
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