AvaNinian – Erstes Buch (German Edition)
Wangen und Kinn, umkreiste die Lippen und glitt über die entblößte Kehle, schabte hier ein wenig und verweilte dort, bis Cheroot endlich zurücktrat und sein Werk zufrieden betrachtete. Jermyn nahm sich vor, LaPrixa so bald nicht mehr zu reizen, aber er musste zugeben, dass er selten so gut rasiert worden war.
Der Perlenvorhang klirrte, die Hautstecherin kam mit einer Flasche und vier Bechern zurück. Sie grinste boshaft.
»Fertig? Ich möchte wetten, dass du einen ganz trockenen Mund hast, mein Jermyn. Hier, wir wollen auf dein Unternehmen trinken und«, sie machte eine bedeutungsvolle Pause, »auf meinen Anteil.«
Jermyn nahm den Becher mit säuerlichem Lächeln. Diese Belohnung schrumpfte mehr und mehr zusammen.
14. Tag des Weidemondes 1464 p. DC
Es war tiefe Nacht, als sie in die Ruinen zurückkehrten. Auch in der nächtlichen Stille konnte Jermyn keine Spur eines Verfolgers entdecken, aber er war so müde, dass es ihm gleich war.
Im Morgengrauen weckte ihn der Hunger und sogleich standen ihm die Ereignisse des Vortages vor Augen.
Viel Zeit blieb ihm nicht für die Vorbereitungen, er brauchte Hilfe.
Auf dem Weg zur Brücke erstand er bei einem Straßenhändler einige in Fett gebackene Kuchen. Am Morgen, wenn das Öl noch frisch war, schmeckten sie leidlich und machten satt.
Vitalonga nahm gerade die hölzernen Blenden von der Auslage, als Jermyn zu ihm trat. Der alte Mann fuhr zusammen, aber Jermyn nahm ihm die Bretter aus der Hand und bedeutete ihm hineinzugehen. Drinnen wies er entschuldigend auf das in Ölpapier gewickelte Gebäck.
»Es ist noch früh, ich habe etwas zu essen mitgebracht. Wenn Ihr wollt, teilen wir. Ich bin Euch mehr schuldig, aber das ist wenigstens ein Anfang.«
Der Alte musterte die Kuchen und ohne eine Miene zu verziehen, lud er Jermyn ein, sich an den Tisch zu setzen.
Er verschwand im hinteren Teil des Ladens und kam mit einer kleinen Messingkanne zurück. Aus einer bunten Dose füllte er schwarzes Pulver in das Gefäß, goss Wasser aus einem Krug dazu und setzte die Kanne auf einen Dreifuß in das Kaminfeuer. Er stellte zwei winzige, goldverzierte Tässchen auf den Tisch, setzte sich und schob die Hände in die weiten Ärmel.
»Was ...«, begann Jermyn, aber der alte Mann legte den Finger auf die Lippen.
Nach einer Weile simmerte das Wasser in der Kanne. Vitalonga nahm sie mit einem alten Lappen aus dem Feuer und stellte sie auf einen Untersatz aus durchbrochenem Metall. Wieder verschwanden seine Hände in den Ärmel und als Jermyn schon ungeduldig wurde, nahm er die Kanne. Ein tiefschwarzer Strahl floss aus der dünnen Tülle in die Tässchen. Eines schob er seinem Gast hin, das andere zog er zu sich. Er machte eine auffordernde Handbewegung und trank selbst mit sichtlichem Wohlbehagen.
Beruhigt hob Jermyn die kleine Tasse an die Lippen. Das Getränk roch nicht unangenehm, aber als er daran nippte, schmeckte es so bitter, dass er das Gesicht verzog. Vitalonga lächelte zum ersten Mal, seit sie sich begegnet waren. Er biss in einen Kuchen und wedelte damit vor dem Gesicht seines Gastes. Jermyn machte es ihm nach und zu dem süßen, fetttriefenden Gebäck passte das herbe Gebräu nicht schlecht. Vitalonga goss schmunzelnd nach und griff nach seinem Schreibgerät.
KAHWE – EIN GETRÄNK AUS MEINER HEIMAT ES ERFRISCHT UND KLÄRT DEN GEIST
Jermyn nickte beeindruckt – so etwas war nicht zu verachten. Er leerte auch die zweite Tasse und merkte wie die Benommenheit des kurzen Schlafes wich. Nachdem sie gegessen hatten, bat er:
»Erlaubt, dass ich in Eure Gedanken trete. So können wir besser reden.«
Vitalonga neigte zustimmend den Kopf.
»Ich danke Euch und bitte Euch um Verzeihung, dass Duquesne Euch meinetwegen bedrängt hat. Er wird dafür bezahlen.«
Der alte Mann verzog freudlos die Lippen und Jermyn erkannte, dass er ihm ebenso misstraute wie Duquesne.
»Sicher seid Ihr nicht nur hergekommen, um mir das zu sagen und mir Kuchen zu bringen, obwohl ich für das eine wie für das andere danke. Was wollt Ihr heute von mir wissen?«
Jermyn hatte den Anstand zu erröten. Halb spöttisch schlug er sich mit der Faust an die Brust.
»Ihr habt gut geraten, Vitalonga, aber nehmt es mir nicht übel. Ihr seid ein Quell des Wissens für einen Ungebildeten wie mich. Ich habe erfahren, wo sich der Schatz der Castlerea befindet, und ich brauche Eure Hilfe, um ihn zu holen.«
Die Augen des alten Mannes leuchteten auf und Jermyn schilderte ihm, was er aus dem Goldnagel
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