AvaNinian – Erstes Buch (German Edition)
ihre Hände waren taub vor Kälte. Sie hatte nicht mehr die Kraft, zurückzureiten und sich zu beschweren. Für heute musste es gehen.
Sie rutschte aus dem Sattel, band die Stute fest und hängte ihr den Futtersack um, den sie am Vorratswagen erstanden hatte. Ohne sich um das Zetern ihres neuen Gefährten zu kümmern, zerrte sie die Satteltaschen herunter und schleuderte sie auf den Kutschbock. Ihre Beine zitterten vor Müdigkeit, sie hatte Mühe hinaufzuklettern. Kaye rührte keinen Finger, um ihr zu helfen, und grob drängte sie an ihm vorbei ins Wageninnere.
Ein Öllämpchen verbreitete trübes Licht. Kaye hatte nicht unrecht. Kisten, Truhen, Stoffballen und Wachstuchbeutel füllten den kleinen Raum beinahe völlig.
Auf einer Seite lag sein Nachtlager, eine Strohmatte, darauf Polster und Decken. Es war warm und leidlich trocken, aber es roch muffig, vom Lüften hielt er wohl nicht viel. Die fremde Ausdünstung, in der sie nun viele Tage und Nächte leben sollte, war zu viel für Ninian.
Um die Verzweiflung niederzuringen, schob sie alles rücksichtslos auf Kayes Matte, bis sie auf der anderen Seite so viel Platz geschaffen hatte, dass sie dort eine Decke ausbreiten konnte. Die schwachen Proteste hinter sich beachtete sie nicht. Morgen würde sie eine Strohmatte auftreiben, heute war es ihr gleich, wo sie lag.
Mit klammen Fingern zog sie sich die nassen Sachen vom Leib, die sie seit drei Tagen nicht abgelegt hatte.
»Ach, sieh einmal ... wie viel Stoff ist in deinem Rock verarbeitet? Kannst du dich gut darin bewegen? Ich hatte noch keine Gelegenheit, ein elegantes Reitkleid zu nähen. In meinem Dorf gibt es nur eine adelige Familie und die alte Herrin ist zu alt um zu reiten, die junge immer in Hoffnung, aber ich brenne darauf, mich daran zu versuchen. Darf ich mal sehen?«
Der klägliche Ton war verschwunden, er hatte den Rock aufgehoben und betrachtete eingehend die Näharbeit. Ninian hatte Jacke und Unterkleid abgelegt, selbst ihr Hemd war durchweicht. Sie nestelte die Bänder auf, um es zu wechseln.
Kaye musterte sie unverhohlen. »Och, das ist aber hübsch! So feines Leinen – was trägst du noch darunter?« Ninian schnappte nach Luft.
»Das geht dich gar nichts an. Dreh dich gefälligst um, wenn ich mich ausziehe und untersteh dich mich anzurühren!«
Kaye wich zurück; er rümpfte die Nase, als habe man ihm eine verdorbene Speise angeboten.
»Aber nicht doch ...«
Er wandte sich ab und begann mit vorwurfsvollem Stöhnen seine Matte freizulegen. Ninian schlüpfte in das graue Schülergewand aus ihrer Satteltasche, wrang das nasse Zeug aus, so gut es ging, und hängte es über die Seile, die quer durch den Wagen gespannt waren.
Sie wickelte sich in die Decke, schob sich das Bündel mit Laluns Geschenk unter den Kopf und kroch dicht an die Wagenwand. Der Boden war hart, sie zitterte vor Kälte und Erschöpfung.
Mit Macht überfiel sie das Heimweh, sie presste das Gesicht in den rauen Stoff des Bündels. Es roch nach Tillholde und das Wasser stieg ihr heiß in die Augen.
Kaye rumorte noch eine Weile herum, offenbar hatte er sich in sein Schicksal ergeben. »Wie heißt du überhaupt?«
Sie musste ein paar Mal schlucken. »N...Ninian.«
Tränen liefen ihr über die Wangen, aber diesmal dachte sie nicht an Jermyn. Wie ein kleines Kind weinte sie nach ihren Eltern, die sie verlassen und verleugnet hatte.
30. Tag des Saatmondes 1464 p. DC
Pünktlich wie jedes Jahr war der Tag gekommen, an dem Ely ap Bede beschloss, sich zur Ruhe zu setzen. Der Ärger nahm zu, die Fahrt wurde immer unbequemer und überhaupt hatte er es nicht nötig, sich diesen Strapazen noch länger auszusetzen. Dies würde sein letzter Wagenzug sein!
Der Wagen rumpelte durch ein Schlagloch und Ely verlagerte sein Gewicht, um den Stoß auszugleichen. Er suchte Trost bei dem Becher, der in einer Mulde auf dem schmalen Tisch vor ihm stand. Aber der Tee war kalt und dünn – in regelmäßigen Abständen tropfte Wasser von der Decke. Nicht einmal die feste Leinwandplane und die Filzmatten hielten den Regen noch ab. Der Kauffahrer seufzte. Nie war ihm das kleine Lustschloss am Ouse-See, zu dessen Kauf seine Frau ihn überredet hatte, verlockender erschienen.
Er zog die Filzkapuze tiefer ins Gesicht und lauschte auf die vertrauten Geräusche. Die lederne Aufhängung quietschte eintönig. Von draußen drangen das schwere Schnaufen der Ochsen und der halblaute Singsang des Wagenlenkers, unterbrochen von blumigen Flüchen. Dem armen
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