AvaNinian – Erstes Buch (German Edition)
Blick war direkt. »Welchem Wagen kann ich mich anschließen? Ich bin nass und müde, ich möchte mich ausruhen und auch mein Pferd ist erschöpft.«
Der Zugführer runzelte die Stirn.
»Du kannst nicht mitfahren. Wir haben weder Platz noch Proviant für Reisende, jeder muss mit anpacken«, erklärte er mit einem verächtlichen Blick auf das teure Tuch ihres Reitkleides und ihre gepflegten Hände.
Für einen Moment war sie sprachlos. Um ihren Mund zuckte es und sie presste die Lippen zusammen, um es zu verbergen. Wassertropfen rannen über ihr Gesicht, auf den bestickten Jackenkragen, ihr Reitrock war bis zu den Knien schwarz von Schlamm.
Der Wachmann sah sie mitleidig an, aber Elys Miene blieb streng. Doch so leicht gab sie nicht auf.
»Ich werde Euch sagen, warum Ihr mich mitnehmt, Ely ap Bede. Ich bezahle«, sie holte einen kleinen Lederbeutel aus der Jacke, »arbeiten kann ich auch. Ich muss nach Dea. Wenn Ihr mich nicht aufnehmt, reite ich allein durch die Wälder!«
»Das geht nich, Meister«, mischte sich der Wachmann ein. »Durch die Schluchten kommt so 'n Fräulein nich heile, wenn se überhaupt soweit kommt.«
»Ich bin kein Fräulein!«
»Schweig!«
Sie hatten gleichzeitig gesprochen, der Ärger stand beiden ins Gesicht geschrieben. Aber der Wachmann hatte das Offensichtliche ausgesprochen, Ely blieb keine Wahl mehr.
»Wie heißt du?«, fragte er barsch.
Sie stockte und errötete, dann warf sie den Kopf in den Nacken.
»Ninian.«
Ely ap Bede hatte auf unzähligen Wagenzügen seine Erfahrungen gemacht.
»Ein falscher Name? Was ist mit deinen Eltern?«
Die grauen Augen wurden leer.
»Ich habe keine Eltern.«
»Keine Eltern?«, bohrte Ely weiter, »niemanden, der für dich sorgt?«
Vielsagend musterte er das Pferd und die gute Kleidung.
»Ich bin im Kinderhaus der Fürstin aufgewachsen, wenn's beliebt. Aber ich kann da nicht bleiben, ich will weg«, ihre Stimme wurde höher und schneller, als wollte sie gleich in Tränen ausbrechen. »Ich bin müde und mir ist kalt! Sagt Ihr mir jetzt, in welchem Wagen ich mitfahren kann?«
Der Kaufmann versuchte es ein letztes Mal.
»Es fahren keine Frauen mit.«
»Das macht nichts«, fiel sie ihm ins Wort, »ich brauche keine weibliche Gesellschaft.«
»Ach nein? Etwas weibliche Zucht würde dir nicht schaden«, versetzte der Zugführer grimmig, »du wirst uns nur Ärger machen! Na, sei's drum. Im letzten Wagen ist noch Platz. Der Fahrer heißt Kaye, du wirst dich wie zu Hause fühlen.«
Der Wachmann prustete heraus, aber Ely brachte ihn mit einem strengen Blick zum Schweigen. Mit einer Handbewegung winkte er das Mädchen Ninian und ihr Pferd fort und kroch in den Wagen zurück. Wollten die Götter, er könnte alle Sorgen so leicht verscheuchen.
»Oi, Kaye, raus mit dir. Du kriegst Gesellschaft!«, ein gellender Pfiff folgte den Worten. Im Wagen begann es zu rumoren. Unglücklich blickte Ninian auf das jämmerliche Fahrzeug, zu dem sie dem Wachmann im strömenden Regen bis zum Ende des Zuges gefolgt war.
Ein dumpfes Rumsen, ein paar Klagelaute, dann öffnete sich ein rundes Loch in der Plane und der Angerufene schaute heraus, die Hand gegen die Stirn gepresst. Eine Nachthaube verbarg sein Haar, erschreckte Augen blinzelten in die Laterne. Hastig griff er nach seinem Hemd und hielt es krampfhaft vor der Brust zusammen.
Der Wachmann brach in Gelächter aus und Ninian konnte es ihm nicht verdenken. Der Mensch da oben erinnerte sie an zwei Hofdamen, ältliche Jungfern, ebenso empfindsam wie empfindlich, die ihre Mutter aus Mitleid in ihr Gefolge aufgenommen hatte. Er musste das Gespött des ganzen Wagenzugs sein. Der Schuft von einem Zugführer hatte sie absichtlich hierher geschickt!
»Wa...was? D...die soll zu mir?«, quiekte der Mensch. Auch er schien nicht begeistert. »Aber das geht nicht, guter Mann – weiß E...Ely ap Bede davon?«
»Er hat's befohlen, du Gimpel, also benimm dich.«
Der Wachmann nickte Ninian halb mitleidig zu und trabte in die nasse Dunkelheit davon.
»Wie stellt er sich das vor? Es ist doch schon für mich zu eng«, jammerte Kaye, »ich konnte mir keinen größeren Wagen leisten, für zwei Kisten musste ich sogar noch Platz in einem anderen Wagen mieten. Es gibt keinen Schlafplatz mehr und du bist so nass, du wirst mir all meine Sachen ruinieren. Ach nein, was für ein Unglück ...«
Er rang die Hände.
»Hör auf zu flennen«, fauchte Ninian. Ihr Hinterteil schmerzte, das Wasser lief ihr den Rücken hinunter und
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