AvaNinian – Erstes Buch (German Edition)
weit hinter der Zeit zurück.
Während er seine Hände an dem Becher wärmte, dachte er an Ninian. Den Kopf hatte er sich schon zerbrochen über dieses Mädchen. Er erinnerte sich nicht an sie, was nichts bedeutete – seine Frau warf ihm vor, er erkenne seine eigenen Töchter nicht, wenn er nach langer Fahrt zurückkehrte – aber er könnte einen Eid schwören, dass er das Pferd schon einmal gesehen hatte.
Eine weiße Stute, gedrungen und kräftig, aber von edlerer Rasse als die struppigen Reittiere der Gebirgler. Vor wenigen Tagen war sie im Hof von Tillholde an ihm vorbei getrottet. Die Reiterin hatte eine dunkle Filzkapuze tief ins Gesicht gezogen, doch der Haushofmeister, mit dem Ely über die Verpflegung verhandelte, hatte eine Hand auf die Brust gelegt und sich verneigt.
»Die junge Herrin«, hatte er aus dem Mundwinkel gemurmelt. Im Trubel des Aufbruchs hatte Ely den Vorfall vergessen, jetzt grübelte er ständig darüber.
Sie hatte gesprochen wie ein Fräulein, das Gehorsam gewohnt war, auch wenn sie heftig bestritten hatte, eines zu sein. Ihr Name war offensichtlich falsch und woher hatte sie als Waise Geld genug, um als Passagier zu reisen?
Die anderen Kaufleute kannten die fürstliche Familie nicht gut genug, um ihm zu raten. Weder sie noch die Fuhrknechte beachteten die Kleine nach der ersten Gafferei, doch auf Ely lastete die Verantwortung.
Wie würde der Fürst es aufnehmen, dass Ely seine Tochter entführte, wenn auch auf ihren eigenen Wunsch? Er galt als milder Mann, aber welcher Vater blieb gelassen, wenn es um sein einziges Kind ging? Und um die Thronfolgerin dazu.
Ely war auf das Wohlwollen des Fürstenpaares angewiesen. Tillholde war der letzte Hof, an dem er größere Mengen Mundvorrat aufnehmen konnte, und die Stoffe der Fürstin waren eine wichtige Handelsware. Er wollte die beiden um keinen Preis verärgern.
Außerdem grollte er dem Mädchen. Nie hätte seine Tochter Violetta gewagt, so mit ihm zu reden und die Kleine musste zwei, drei Jahre jünger sein. Sie hatte ihn gezwungen, sie mitzunehmen und er mochte nicht daran denken, welche Scherereien er ihretwegen mit dem Herrn der Schluchten bekommen würde. Als habe er nicht schon genug davon!
An dem Tag, als der Wachmann Tyne seine Hand verlor, hatte sich einer seiner besten Ochsen ein Bein gebrochen und musste geschlachtet werden und am Abend war sein Schwiegersohn aus Dea mit niederschmetternden Nachrichten über den Wollpreis zu ihnen gestoßen. Zermürbt von diesen Widrigkeiten hatte Ely am Abend zu der Elfenbeinfeder gegriffen und seinen Brief begonnen.
Er hatte aus dem Wagen geblickt, während er nach gewandten, höflichen Worten gesucht hatte und Ninian gesehen, die durch den strömen den Regen zum Teezelt gewatet war. Sie kam vom Ende des Wagenzuges, wohin er sie in einem Anflug von Bosheit verbannt hatte und wirkte in dem triefenden Filzumhang erbarmungswürdig wie eine nasse Katze.
Ely hatte die Feder sinken lassen. Warum sollte sich ein vornehmes Fräulein solchem Elend aussetzen? Wenn sie nun doch nicht die junge Herrin war? Dann machte er sich mit diesem Brief zum Narren und konnte dem Fürsten nicht mehr vor die Augen treten. Jeder Vater musste selbst auf seine Brut aufpassen, er war nicht der Vormund der Thronerbin von Tillholde.
Ely hatte den angefangenen Brief beiseitegelegt. Seit Tagen waren sie unterwegs und kamen nur langsam voran – eine berittene Truppe hätte sie längst eingeholt, wenn der Fürst seine Tochter wirklich vermisste. Als klugem Mann wäre ihm der Wagenzug gewiss sofort eingefallen. Nein, wegen des Fürsten musste er sich keine Sorgen machen. Wenn er dagegen an die Schluchten dachte ...
Das Getrommel des Regens hatte nachgelassen und Ely horchte auf. Ein mächtiges Brausen strich über ihn hinweg, die Wagenplane knatterte verheißungsvoll.
Er beugte sich hinaus. »Oi, Bigos, was ist los?«
Der Geschirrlenker drehte sich um, die Furchen in seinem braunen Gesicht vertieften sich zu einem breiten Grinsen.
»'n feines Lüftchen, Herr, 'n Sturm geradezu. Er scheucht de mieslichen Regenwolkn weg, ich seh schon blauen Himmel. Wurd auch Zeit, mir wachsn bald Pilze aus de Ohrn!«
Zufrieden schob er den Klumpen Kautabak in die andere Backe und wandte sich seinem Gespann zu.
»Na los, meine Helden, meine Schönen, ziiieht an, ziiieht an! Bald sin wir raus aus dem Schmodder, ziiieht an!«
»Mögen die Götter dich erhören, Bigos«, murmelte Ely inbrünstig.
Aber nicht die Götter hatten den
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