AvaNinian – Erstes Buch (German Edition)
die Unfreundlichkeit der Kaufleute und die Grobheit der Fuhrknechte.
Niemals half er, ein Fuhrwerk flott zu machen oder einen herabgefallenen Baumstamm wegzuräumen. Er hatte keinen Anteil an der lärmenden, derben Kameradschaft der Knechte, aber auch die Kaufleute mieden ihn. Ninian sah sie mit hochgezogenen Knien durch den Schlamm stelzen, wenn sie sich in ihren Wagen besuchten, die pelzgefütterten Mäntel sorgfältig gerafft. Auch Kayes Blicke folgten ihnen halb mürrisch, halb sehnsüchtig. Manchmal murmelte er etwas vor sich hin, was sie nicht verstand. Bald zog sie es vor, durch den Regen zu stapfen, als in dem stickigen Gefängnis durchgeschaukelt zu werden oder auf dem Kutschbock Kayes Greinen anzuhören.
Am Anfang war sie geritten, aber es war übel aufgenommen worden. Wäre sie ein Junge gewesen, hätte es wohl Schläge gesetzt, aber in ihrer Einsamkeit kränkten sie auch böse Blicke. Nur die Wachleute waren zu Pferde und sie wachten eifersüchtig auf ihr Vorrecht. Sie hatte Luna angebunden, aber die Männer hatten ihre Abneigung gegen Kaye auf sie übertragen.
Die Erfahrung war neu für Ninian. Am Hof von Tillholde hatte sie mit allen Männern, vom großen Knut bis zu den Hundejungen, auf gutem Fuße gestanden, es gab kaum eine Schulter, auf der sie nicht als kleines Mädchen gesessen hatte. Die Ablehnung, die ihr hier entgegenschlug, verletzte sie und sie gab Kaye die Schuld daran.
Er nähte und flickte für die Männer und das machte er gut, denn es war sein Handwerk. Wenn er nicht jammerte, sprach er in großer Ausführlichkeit über Kleider und Stoffe, ohne zu merken, dass Ninian nicht zuhörte, bis sie mitten in seiner Rede aus dem Wagen kletterte.
Sie seufzte. Die Reise nach Dea hatte sie sich anders vorgestellt; sie hätte sich nicht träumen lassen, dass der Weg – ihr eigener Weg, wie sie Eyra stolz entgegen geschleudert hatte – derart nass und dreckig beginnen würde. Wenn sie an den Abschied von ihrer Tante dachte, war sie voller Genugtuung darüber, dass sie das letzte Wort behalten hatte. Gedanken an Vater und Mutter vermied sie – nach dem Ausbruch in der Nacht ihrer Ankunft hatte sie keine Tränen mehr vergossen. Aber manchmal erinnerte sie etwas unvermutet an die Eltern, und für Augenblicke dachte sie an die Sorge und Trauer, die sie um ihretwillen leiden mussten. Dann verhärtete sie ihr Herz – sie würde sich nicht in ihr Schicksal ergeben, wie es die Mutter getan hatte, sondern frei wählen, wo sie ihre Kräfte einsetzte!
Die Wärme und das gleichmäßige Schaukeln des Wagens waren einschläfernd, die Augen fielen ihr zu. Sie versank in der verlockenden Dunkelheit des Schlafes, als helles Sonnenlichts ins Innere des Wagens fiel.
»Sieh mal Ninian, wie die Sonne scheint. Alle hängen ihre Sachen zum Trocknen raus, sollen wir nicht auch ...«, er verstummte und japste hörbar nach Luft. »Ooh, nein, was hast du gemacht! Du ... du dumme Nuss!«
Seine Stimme überschlug sich. Ninian fühlte sich am Arm gepackt und hochgezogen, Hände rissen wild an den Stofflagen, in die sie sich eingewickelt hatte. Als sie ihren Kopf von den weichen Falten befreit hatte, sah sie in Kayes verzerrtes Gesicht. Überrumpelt von dem unerwarteten Angriff, stand sie beinahe nackt da, bevor Leben in sie kam. Mit einem Wutschrei raffte sie den blauschimmernden Stoff an sich.
»Bist du wahnsinnig, Kaye, was fällt dir ein, du Trottel.«
»Du ruinierst meinen bes...besten St...Stoff, du dämliche Gans, weißt du, w...was der w...wert ist? Gib her, gib her, sag ich!«
Wie ein Verrückter zog er an dem Tuch, das Ninian krampfhaft festhielt. Rote Flecken erschienen auf seinen Wangen, der Adamsapfel an seinem dünnen Hals hüpfte auf und nieder. »Du bist ein Unglück! Ich hatte mich so gut eingerichtet und du hast alles durcheinander gebracht. Warum mussten sie mir so ein schreckliches Frauenzimmer aufhalsen?«, quiekte er verzweifelt und trotz ihres Zorns musste Ninian lachen.
»He, warte doch, du Dummkopf. Hör auf, an mir herumzuzerren. Du kannst deinen albernen Stoff haben, aber ich kann doch nicht nackt hier stehen!«
Kaye hörte nicht. Er hob den Ballen auf und versuchte den Stoff aufzurollen, aber er konnte den schlüpfrigen Wust nicht bewältigen.
»Wie kann man nur so töricht sein, einen Eisvogelbrokat als Decke zu benutzen. Ihr Landeier seid doch alle die gleichen unwissenden, gefühllosen ... oh, warum hab ich immer Pech? Nun, lass doch endlich los, von mir aus kannst du
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