AvaNinian – Erstes Buch (German Edition)
bringen, aber es wird eine Weile dauern.«
»Bis Sonnenuntergang«, beharrte Jermyn erbarmungslos, »dann kommt Duquesne her und glaub mir, er wird begeistert sein.«
Schwer auf seinen Stock gestützt, schritt Fortunagra zur Tür, die in den Hof führte, dort drehte er sich um.
»Was ist mit meinen Männern?«
»Sobald du bei ihnen bist, sind sie frei. Aber keine Mätzchen, ich ... wir können euch jederzeit festhalten. Ach, übrigens, was hattest du heute Nacht mit Artos Sasskatchevan zu reden?«
Der Ehrenwerte verlor die Beherrschung.
»Warum soll ich dir die Arbeit abnehmen, du junger Teufel?«, zischte er hasserfüllt, »darüber zerbrich dir selbst den Schädel und fahr zur Hölle dabei.« Damit war er zur Tür hinaus und Jermyn lachte triumphierend hinter ihm her. Das erste Spiel hatte er gewonnen und in seiner Hochstimmung zweifelte er nicht daran, dass auch alles andere nach seinem Willen gehen würde.
Die Sonne war bereits ein ganzes Stück höher gestiegen, als sie sich durch die überfüllten Gassen ihren Weg zum Fluss bahnten.
»Warum hat man Ohren?«, stöhnte Ninian und wich zwei Mistsammlern aus, die sich gellend um einen dampfenden Haufen Rossäpfel stritten. Straßenhändler priesen lauthals ihre Waren an, Fuhrleute brüllten mit ihren Zugtieren um die Wette. Weiber mit schreienden Kindern am Rockzipfel keiften in den höchsten Tönen und darüber ertönte das helle, eintönige Hämmern eines Kesselflickers, der mit seinem Handkarren von Haus zu Haus zog.
»Was willst du?«, knurrte Jermyn. »Ich hör auch noch, was sie denken.« Er nahm ihre Hand und zog sie zu einem schmalen Einschnitt in der Ufermauer. Eine steile Treppe führte zum Fluss und sie kletterten hinunter. Breite Spalten klafften in den veralgten Quadern. Die Sonne glitzerte auf den trägen, braunen Wellen, es stank nach Fäulnis und Moder. Dennoch atmeten sie erleichtert auf, als der Lärm über ihnen zurückblieb.
»Hier brauchen wir keine Angst vor Taschendieben zu haben«, meinte Jermyn und klopfte auf den schwarzen Lederbeutel, den er innig an sich presste. »Ein scharfes Messerchen im Gedränge und schon ist man seinen
Schatz los ...«
»Du musst ja wissen, wovon du sprichst«, erwiderte Ninian spitz, während sie hinter ihm her über die glitschigen Steine balancierte, »wo schleppst du mich überhaupt hin? Hat das nicht Zeit, bis wir gegessen und geschlafen haben?«
Jermyn grinste aufmunternd.
»Wir besuchen einen alten Mann, dem ich etwas schuldig bin. Ich möchte, dass du ihn kennenlernst. Dort bekommst du etwas gegen die Müdigkeit, denn zum Schlafen haben wir keine Zeit. Danach werden wir dich füttern, mein Kind. Komm, ich helf dir.«
Sie schnitt ihm eine Grimasse und nahm die angebotene Hand.
»Das ist ja was Neues ... dass du zugibst ... jemandem etwas schuldig zu sein«, stieß sie, nicht ganz besänftigt, zwischen den Sprüngen über klaffende Spalten hervor. Er drückte ihre Hand, dass es schmerzte und erwiderte ohne Spott:
»Vielleicht hast du einen guten Einfluss auf mich, Ninian.«
Sie errötete und fragte schnell:
»Wer ist Guy d'Aquinas?«
»Einer aus dem Klüngel des Patriarchen. Ratsmitglied und so, Haupt einer vornehmen Familie und stinkreich. Aber – und dafür ist er stadtbekannt – geht ihm was quer, explodiert er wie ein Feuerwerkskörper. Und wenn der in Fahrt ist, geht man ihm am besten aus dem Weg. Ein anderer feiner Pinkel hat sich mal mit ihm angelegt. Er hatte 'ne Armbrust und d'Aquinas damit einen Pfeil in die Schulter gejagt. Zum Nachladen ist er nicht mehr gekommen, der gute Guy ist mit bloßen Händen auf ihn losgegangen und hat ihn erwürgt. Ist natürlich alles vertuscht worden, aber früher oder später erfährt man in den dunklen Vierteln davon. Es gab noch andere Gerüchte, über seine Ehefrauen – zwei hat er schon begraben. Jedenfalls hatte der edle Fortunagra ihn am Haken, die Familienehre geht d'Aquinas über alles. Wenn der jetzt erfährt, dass ihm der Ehrenwerte nichts mehr anhaben kann – einer wie er erträgt Erpressung nicht gut.«
»Und die Gemahlin des Patriarchen?«
»Hat offenbar ab und zu genug von ihrem Eheherrn und ist so leichtsinnig, ihren Eroberungen Briefchen zu schreiben. Aber sie wärmt dem alten Bock sein Bettchen und wenn sie gegen den Ehrenwerten hetzt, hat sie bestimmt mehr Erfolg als der aufgeblasene Duquesne.«
Ninian blieb stehen.
»Duquesne? Den Hauptmann der Stadtwache? Kennst du ihn?«
Jermyn verzog das Gesicht und
Weitere Kostenlose Bücher