AvaNinian – Erstes Buch (German Edition)
Rachen schmeißen müsste. Aber dieses andere hier«, sie hob die Rolle und tat einen tiefen Atemzug, »gibt mir meine Freiheit zurück!«
Ihre Stimme bebte und ärgerlich fuhr sie sich mit dem Handrücken über die Augen. »Ist schon verdammt lange her, seit ich zuletzt geflennt habe«, murmelte sie, aber als sie die verständnislosen Gesichter sah, fuhr sie ungeduldig fort: »Das ist meine Verkaufsurkunde, mein Sklavenschein. Wer dieses Dokument besitzt, dessen Eigentum bin ich! Erinnerst du dich, wie du fragtest, wem ich Gefolgschaft leiste?«, sie berührte ihr gekapptes Ohr. »Es war viel schlimmer, ich konnte keine Gefolgschaft leisten, weil ich nicht über mich bestimmen durfte. Es war nur ein grausamer Scherz, den sich mein damaliger Herr mit mir erlaubte – mögen ihn die Dämonen der Unterwelt schinden. Sieh her ...«
Sie entblößte ihre rechte Schulter. Drei senkrechte Striche und ein verschlungener Buchstabe hoben sich in fahlem Rosa von der braunen Haut ab. LaPrixa zeigte ihnen die gleichen Zeichen auf dem Pergament und einen Daumenabdruck. »Sie haben mich gebrandmarkt und hier, das ist meiner.«
Cheroots Gesicht verzog sich schmerzlich und überrascht spürte Jermyn, dass er Mitleid mit LaPrixa empfand. Wie schlecht es ihm auch ergangen war, er hatte immer sich selbst gehört. Sklavenhandel war im Stadtgebiet von Dea verboten, doch das Verbot wurde umgangen, indem der Verkauf auf Schiffen aus den Südreichen auf der offenen See vor dem Hafen stattfand. Die Gerichte aber erkannten die Kaufurkunden an, Besitz galt mehr als alles andere in dieser Stadt. Es kostete viel Geld und Mühe, solch eine Urkunde aufzuheben.
»Ich wusste, dass es sie gab«, erklärte LaPrixa, »aber ich wusste nicht, wer sie hatte und plötzlich damit herausrücken würde. Dieses verdammte Fetzchen Papier hing über mir wie ein Tonne Ziegelsteine an einem morschen Tau. Der ganze Laden hier«, sie wies mit weitausholender Gebärde um sich, »gehört mir im Grunde nicht. Unfreie dürfen keinen Grund und keine Gebäude erwerben. Mein Geld gehört mir nicht, weil Unfreie nicht mehr besitzen dürfen, als sie für ihr tägliches Leben brauchen. Ich wagte es nicht, die unfreien Mädchen freizukaufen, weil ich die Frage des Gerichts fürchtete: ,Bist du selber frei?' Woher sollte ich wissen, ob nicht plötzlich mein ... Besitzer«, sie spuckte das Wort aus, »aufstehen und mir ins Gesicht lachen würde? Und hätte ich gewusst, dass es dieser Aasgeier war ...«
Sie ballte die Fäuste, dass die feurigen Schlangen auf ihren Armen in wildem Tanz wogten. Einen Augenblick lang sah es so aus, als wolle sie sich mit rollenden Augen und gefletschten Zähnen auf einen unsichtbaren Feind stürzen.
Dann warf sie den Kopf in den Nacken und lachte. Lachend zerriss sie das Papier, das aus ihr ein Ding gemacht hatte, und die winzigen Fetzen schwebten wie Flaum zu Boden.
»Du hast mich befreit, mein Sohn, und dafür schenke ich dir meinen Anteil an der Belohnung.«
Sie breitete die Arme aus. Jermyn trat misstrauisch einen Schritt zurück und sie lachte aufs Neue.
»Keine Angst, mein sauberer Held, ich werde mich erst wieder präsentabel machen.« Sie verschwand hinter dem Perlenvorhang und ließ die beiden jungen Leute verdutzt zurück.
Cheroot aber sammelte die Papierfetzen mit beinahe feierlichem Ernst in eine Schale, entzündete einen Kienspan an den glimmenden Kohlen und setzte sie in Brand. Die Ränder kräuselten sich, flammten auf und verkohlten, bis nur noch graue Asche zurückblieb. Cheroot leerte sie in das Kohlebecken, wischte die Schale blank und tilgte damit jede Spur von LaPrixas Schande.
Jermyn und Ninian hatten ihm schweigend zugesehen und gerade als sie ungeduldig werden wollten, klirrte der Perlenvorhang. LaPrixa kam herein, frisch bemalt und mit einer staubigen Flasche aus dunklem Glas in der Hand.
Auf einen Wink holte Cheroot drei kleine Kelche aus einem Schränkchen mit runden Glasscheiben.
»Nein, nein, auch eins für dich, Cheroot. Du sollst mit uns auf meine Befreiung trinken.« Cheroot errötete freudig und tat, wie sie ihn geheißen hatte. Vorsichtig öffnete LaPrixa die Flasche und füllte jedes Glas mit einer bernsteinfarbenen Flüssigkeit. Sie hob eines ans Licht und beobachtete andächtig, wie das hereinfallende Sonnenlicht den Wein in flüssiges Gold verwandelte.
»Dieser Tropfen muss seit den Tagen der Erbauer dieses Hauses in den Kellern liegen. Viele würden ihn mir mit Gold aufwiegen, aber ich will damit
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