AvaNinian – Erstes Buch (German Edition)
konnte. Er hatte sie fast erreicht, als er Ninian entdeckte.
Sie stand hinter einem Stadtwächter, der die Absperrung sicherte und unterhielt sich angeregt mit einem schlaksigen jungen Mann, der lebhaft gestikulierend auf sie einredete. Ihr Gesicht leuchtete und ihre Augen waren lustig zusammengekniffen, wie immer wenn sie etwas erheiterte. Bei Wags Geschichten sah sie oft so aus und plötzlich kam es Jermyn in den Sinn, dass sie ihn selten so ansah. Jetzt schüttelte sie lachend den Kopf. Der junge Mann zuckte bedauernd die Schultern, küsste sie auf beide Wangen und schlängelte sich davon. Jermyn schüttelte die Erstarrung ab und arbeitete sich zu ihr vor.
»Wer war das?«
»Das? Oh, nur Kaye ...«
Ihre Augen lachten mutwillig, aber bevor er weiter in sie dringen konnte, schnitten ihm schmetternde Fanfarenstöße das Wort ab.
Die Leute, die geduldig ausgeharrt hatten, drängten nach vorne, die Stadtwächter stemmten sich mit aller Macht dagegen und der Lärm wuchs ohrenbetäubend.
»Der Brautzug ... sie kommen, sie kommen ...«
»Wird auch Zeit. Mir kocht gleich das Hirn über. Wir sitzen hier schließlich nicht im Schatten wie die feinen Herrschaften da drüben.«
Ninians Nachbar fächelte sich mit seinem Barett Kühlung zu, sein Gesicht glühte beängstigend. Sie sahen zu der Tribüne, die ein großer Baldachin überdachte. Ninian stieß Jermyn an.
»Schau, da drüben sitzt Ely ap Bede mit seiner Frau.«
Der Mann mit dem wettergegerbten Gesicht fühlte sich sichtlich unbehaglich, er lockerte den engen Kragen seines Brokatrockes, wischte sich mit einem großen Tuch über den kahlen Schädel und flüsterte der würdigen Matrone neben sich etwas zu. Sie bewegte energisch ihren Fächer und Ninian kicherte. »Das hieß ,Nein'. Armer Ely, aber Dame Enis ist hier in ihrem Element.«
»Scheint ein wichtiger Mann zu sein, dein Wagenführer, wenn er einen Platz auf der Ehrentribüne bekommen hat«, meinte Jermyn.
»Er hat erzählt, dass er den alten Sasskatchevan kennt, aber dass sie so eng befreundet sind, wusste ich nicht. Oh, schau«, sie griff nach seinem Arm, »da oben – Vitalonga. Wie kommt er dahin?«
In der obersten Sitzreihe, direkt unter dem Sonnensegel, drückte sich der Kunsthändler in einen Winkel. Jermyn zuckte die Schultern.
»Was weiß ich. Vielleicht muss er bestätigen, dass es der echte Brautschatz ist, mit allem, was dazu gehört.«
Er öffnete einen winzigen Spalt in dem Schild, mit dem er sich vor dem Gedankenchaos der Menge schützte.
»Oi, Vitalonga, was bringt Euch hierher?«
Der alte Mann zuckte zusammen und blickte suchend um sich.
»Jermyn! Wo seid Ihr? Ich hätte ein ernstes Wort mit Euch zu reden.«
»Ich stehe an der Absperrung auf der anderen Seite der Straße. Verschont mich mit Euren ernsten Worten, davon hatte ich letztes Mal schon genug, sie langweilen mich.«
»Seid nicht frech, junger Mann!«
Vitalongas geistige Stimme klang ungewöhnlich streng.
»Ich dachte, ich hätte Euch klargemacht, wie wichtig es ist, den Brautschatz vollständig zurückzugeben. Stellt Euch meinen Schrecken vor, als ein Teil fehlte. Ich kann Euch nur eindringlich bitten, nichts für Euch zu behalten. Wer weiß, was es Euch für Unheil bringen wird!«
»Macht Euch keine Sorgen um mich oder den fehlenden Teil des Brautschatzes, Vitalonga. Genießt lieber diese großartige Hochzeit.«
Er lauschte mit geneigtem Kopf der ungnädigen Antwort und zog sich grinsend zurück. Ninian musterte ihn neugierig.
»Was treibst du da?«, fragte sie. »Du lachst, dann schüttelst du den Kopf – die Leute denken, du hast einen Sonnenstich.«
»Ist doch gleich. Ich hab mit Vitalonga gesprochen, er lässt dich grüßen.«
»Oh, sieht er es, wenn ich ihm winke?«
»Lass es lieber, schau, wer da noch sitzt, den müssen wir ja nicht gerade auf uns aufmerksam machen.«
Ninian beschattete die Augen mit der Hand. Zwischen den Ratsherren mit ihren goldenen Amtsketten saß der Ehrenwerte Fortunagra, sein tiefschwarzes Gewand stach düster aus den glänzenden Brokaten und schimmernden Samtstoffen hervor. Er sprach nicht mit seinen Nachbarn, sondern blickte unverwandt auf die Straße.
»Wie mag ihm zumute sein? Heute ist sein Plan endgültig fehlgeschlagen«, meinte Ninian. Jermyn lachte leise.
»Er ist voller Gift und Galle, darauf möchte ich wetten.«
Wenn es so war, wusste der Edelmann es gut zu verbergen, sein Gesicht verriet nichts.
»Kennst du noch andere von den Ehrengästen?«
»Hm, ja, den alten
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