AvaNinian – Erstes Buch (German Edition)
Hände in den dunklen Locken.
»Er hätte ihr ja nicht folgen brauchen, oder? Jetzt behauptet er, ich sei schuld, weil ich ihm keine Hoffnung gemacht habe. Aber ich wusste doch nicht, was ich tun sollte, und er hat nicht gesagt, dass es ihm leid tut, kein Wort hat er gesagt, er hat mir Vorwürfe gemacht und ist einfach weggelaufen und vorher war es so schön und jetzt ist alles verdorben.«
Ihre Augen füllten sich wieder mit Tränen. LaPrixa sah in das unglückliche junge Gesicht und zuckte die Schultern.
»Die Männer sind Ratten, meine Kleine. Rücksichtslos und grausam. Sie nehmen, was sie kriegen können, und lassen es fallen, wenn es ihnen passt und, wie du sagst, niemals, niemals ist es ihre Schuld. Da hast du gleich was für's Leben gelernt. Verlassen kannst du dich nicht auf sie.«
Ungerührt beobachtete sie, wie Ninian bei diesen Worten die Tränen über die Wangen liefen und auf die polierte Tischplatte tropften.
Es hatte sie schwer getroffen, die Kleine. Kühl und unnahbar hatte sie immer gewirkt, wenn sie zusammengesessen hatten, Jermyn mit seinem schwarzen Gebräu und sie mit der Bilha. Beherrscht wie die vornehmen Damen, die LaPrixa nach Einbruch der Dunkelheit aufsuchten. Nie hatte sie etwas von sich erzählt und keine anderen Gefühle als Freundschaft für Jermyn gezeigt. Die Entdeckung, dass die beiden ein Liebespaar geworden waren, hatte die Hautstecherin vollständig überrumpelt. Wenn sie Ninian in den letzten Wochen von ferne im Badehaus gesehen hatte, hatte sie den Anblick kaum ertragen, so war das Mädchen durch die Liebe aufgeblüht. Jetzt war das Licht erloschen, Schatten lagen unter den Augen und die zarten Knochen ihres Gesichts traten ein wenig zu sehr hervor.
»Sie haben's übertrieben«, dachte LaPrixa abfällig, »und haben sich satt. Gut so, jetzt sollte sie reif sein ...«
»Mir ist alles so zuwider«, murmelte Ninian, als habe sie LaPrixas Gedanken gelesen, »es sieht so grässlich bei uns aus, schmutzig, widerlich – an das Bett mag ich gar nicht denken, da drin will ich nicht mehr schlafen. Die Decken sind ewig nicht gewaschen worden.«
Sie rieb sich die Augen wie ein kleines Kind. LaPrixas Gesicht leuchtete auf.
»Hm, wenn das so ist – ich habe ein paar Gästezimmer für besondere Kunden und Freunde«, sagte sie betont beiläufig, »wenn du willst, kannst du heute Nacht hier bleiben. Alles ist ganz frisch und unberührt.«
Ninian lächelte schwach.
»Das klingt verlockend, vielleicht nehme ich dein Angebot an.«
Sie seufzte und LaPrixa, bemüht, ihren Triumph zu verbergen, schob ihr das Weinglas zu.
»Hier, trink was, das beruhigt.«
»Du weißt doch, dass ich das Zeug nicht mag. Jetzt schon gar nicht.«
»Vielleicht eine Bilha, mein Täubchen? Eine schöne, beruhigende Bilha.«
»Nein, mir ist nicht nach Rauchen.«
Sie schob den Stuhl zurück und stand auf, eine zierliche, anmutige Gestalt in einem engen, aufreizenden grauen Kleid, das LaPrixa nicht kannte und ihre Weiblichkeit mehr enthüllte als die Jünglingskleider, die sie sonst trug.
»Nimm es nicht übel, LaPrixa, aber ich bin nur hergekommen, um zu baden. Ich habe das dringende Bedürfnis einiges abzuwaschen.«
Sie wandte sich zur Tür. Wie der Blitz fuhr LaPrixa hoch und legte ihr die dunkle, mit Ringen geschmückte Hand auf den Arm. Vertraulich senkte sie die heisere Stimme.
»Ist recht, meine Hübsche, aber du willst doch sicher nicht bei all dem stinkenden Volk baden, oder?«
Ninian hob die Brauen. »Das hatte ich allerdings nicht vor«, erwiderte sie hochmütig und hielt LaPrixa die rote Scheibe für eine Einzelzelle unter die Nase. Geheimnisvoll lächelnd nahm die Hautstecherin ihr die Scheibe aus der Hand.
»Nein, nein, das ist auch nicht das Richtige. Komm, sei mein Gast, ich will dir etwas zeigen, was dir gefallen wird.«
Ohne das Mädchen loszulassen, wies sie auf den Perlenvorhang, der den zweiten Ausgang des Zimmers verhüllte.
Ninian sah in das dunkle, hässliche Gesicht über ihr. LaPrixa überragte sie fast um Haupteslänge, mit ihrem barbarischen Gesichtsschmuck und dem halbkahlen Schädel schien sie furchterregend und abstoßend, aber sie war immer freundlich gewesen und Ninian hatte sich an ihr seltsames Aussehen gewöhnt. Jetzt lächelte sie schmeichelnd und als Ninian an die karge Badezelle dachte, an das verlassene, wenig einladende Bett, das sie im Palast erwartete, überfiel sie das Verlangen nach mütterlichem Trost. So wenig LaPrixa danach aussah, so schien sie doch
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