AvaNinian – Erstes Buch (German Edition)
Schatten heraus. Wenn er im Turm verschwunden war, würde sie ihm langsam folgen.
Aber Jermyn ging nicht gleich hinein, er drehte sich um und sah sie. In ihren Augen musste immer noch der hingerissene Blick liegen, denn das seltene Lächeln erhellte sein Gesicht. Ihr Herz machte einen Satz und die Hitze stieg ihr in die Wangen. Unwillig runzelte sie die Brauen und sein Lächeln verwandelte sich in das bekannte, spöttische Grinsen.
»Komm Ninian, nehmen wir die Treppe. Schließlich gehören wir auch zu den ordentlichen Menschen, was?«
»Geh voran, ich komme schon nach«, erwiderte sie steif. Jermyn zuckte die Schultern und verschwand in der Tür. Während sie ihm langsam folgte, haderte sie mit sich und schalt sich eine Gans. Als sie im Turmzimmer anlangte, half Jermyn Vater Troy gerade, ein großes, zerbrechliches Bronzegestell auf seinem Sockel zu befestigen.
»Schon das dritte Mal in dieser Woche, dass es heruntergefallen ist«, brummte Vater Troy, »ich glaube, Ava hat Recht. Da baut sich was auf. Ah, da bist du ja, Mädchen. Es verstärkt sich, nicht wahr?«
Ava nickte.
»Ja, ich spüre es immer deutlicher, eine kaum erträgliche Spannung in der Erde wie vor einer gewaltigen Entladung.«
»Nicht ganz, der Bebenmesser zeigt keine Schwingungen an, er verrutscht nur ab und zu, als ob es einen Ruck gäbe. Ich denke, wir müssen den anderen Vätern von dieser seltsamen Erscheinung berichten.«
Vater Troy raffte seine Aufzeichnungen zusammen und eilte die Treppe hinunter. Ava wollte ihm folgen, aber Jermyn hielt sie zurück.
»Wird es ein Erdbeben geben?«
Die Vorstellung schien ihm nicht zu behagen. Ava zuckte die Schultern.
»Ich weiß es nicht. Der Vater meint, es sei etwas anderes und ich erkenne es nicht genau.«
»Was kann es sonst sein? Wir sollten nicht hier oben sein, wenn es los geht.«
»Was stehst du also noch da?«, erwiderte sie unfreundlich und rannte die Treppe hinunter.
Zwei Tage lang geschah nichts. Die Väter berieten über die Anzeichen und beschlossen, alles für eine Räumung der Schule vorzubereiten. Ava erklärte ihnen, dass sie etwas Gewaltiges in der Erde spüre, aber nicht wisse, was es sei. Sie traute sich zu, die Schule zu schützen, aber es beunruhigte sie, dass sie seit Tagen keinen Zugang mehr zur Erdenmutter fand. Versuchte sie es, so stieß sie auf einen Hitzewall, vor dem sie zurückschreckte. Doch davon konnte sie den Guten Vätern nichts erzählen ohne ihr Geheimnis preiszugeben und so war sie auf sich allein gestellt.
Vater Dermot rief sie zu sich und sagte ernst:
»Ava, es kann sein, dass deine letzte Prüfung nicht von uns gestellt wird. Wir sind alle bereit, dir zu helfen, aber niemand weiß, wie schwer diese Aufgabe sein wird. Es ist eine große Stärke in dir, die du mit unserer Hilfe entwickelt hast, und denke daran, du bist nicht allein.«
Ava nickte nur, sie empfand weniger Angst als eine prickelnde Erregung.
Äußerlich ging alles seinen gewohnten Gang; die Schüler machten ihre Übungen und die täglichen Arbeiten wurden verrichtet, aber niemanden überraschte es, als am späten Nachmittag des dritten Tages ein grollendes Beben die Erde erschütterte.
»Jetzt geht es los«, rief Vater Troy aufgeregt, »nehmt das Nötigste, wir müssen aufs freie Gelände!«
Alle ließen fallen, was sie gerade in den Händen hielten, in der Küche löschten die Köche die Feuer, sie griffen die seit Tagen gepackten Notbündel und rannten zum Torhaus hinaus in den äußeren Garten. Vater Troy trieb sie weiter.
»Nein, noch zu gefährlich. Müssen ganz raus«, keuchte er. Während sie weiter rannten, wuchs das Grollen zum Brüllen und Ava spürte, wie sich das Beben durch ihre Füße bis in den Kopf fortsetzte. Jetzt hatten sie die äußere Mauer erreicht und drängten durch das Tor ins Freie.
»Weiter, weiter ... weg von der Mauer ...«
Vater Troy ächzte und hielt sich die Seite. Quentin lief zurück und stützte ihn. Am Kreuzungspunkt der Wege blieben sie stehen und sahen sich atemlos um.
Noch war keines der Gebäude eingestürzt und Vater Troy schrie Ava zu: »Versuch es zu beruhigen, es scheint noch nicht so stark zu sein.«
Sie holte tief Luft, kauerte sich hin, beide Hände auf dem schwankenden Erdboden. Sie schloss die Augen und ließ ihren Geist in die Tiefe sinken. Grassoden, krümelige, dicht durchwurzelte schwarze Erde, Lehm, schwer und schmierig, Felsen ...
Die Väter, die Schüler und alles Volk, das sich in sicherer Entfernung vor den Mauern
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