AvaNinian – Erstes Buch (German Edition)
dass die Verbindung zu ihrem Leib dünn wurde. Sie löste sich langsam von der Erdenmutter und kehrte zu sich selbst zurück. Es dämmerte und ihre Glieder waren steif von der abendlichen Kühle, trotzdem erfüllten sie Wärme und Ruhe, wie immer nach diesen Besuchen. Sie hatte keine Angst mehr vor ihrer letzten Begegnung mit Jermyn.
Am nächsten Morgen stieg sie die ausgetretenen Stufen des Turmes hinauf, zum ersten Mal bei Tage. Es drängte sie, das Treffen hinter sich zu bringen und sie hatte einen Zettel unter seine Tür geschoben. Noch ehe sie sich klar war, ob es sie ärgern oder erleichtern würde, wenn er nicht da wäre, trat sie durch die Tür und sah ihn am Geländer stehen. Er wandte ihr den Rücken zu und es erbitterte sie, dass ihr Herzschlag bei seinem Anblick stockte. Sie zwang sich zur Ruhe, straffte die Schultern und trat mit hocherhobenem Kopf ins Freie.
Jermyn drehte sich um, als er sie hörte. Seine Augen waren rotgerändert, sein Gesicht blass und übernächtigt. Die spöttische Maske aber war gefallen und das harte Tageslicht zeigte schonungslos, was er fühlte.
Ava bekam weiche Knie. Um nicht von der Verwirrung übermannt zu werden, die sich ihrer bemächtigen wollte, begann sie zu reden, mit schriller, fremder Stimme.
»Warum hast du das getan? Du hast ihn beinahe getötet! Was bist du nur für ein ... für ein Ungeheuer, dass du einen harmlosen Menschen wie Donovan so quälen kannst? Antworte, warum hast du das getan?«
Jermyn wurde bei ihren Worten noch blasser. Er presste die Lippen zusammen und die schwarzen Augen wurden hart. Vor dem Kreis der Väter hatte er Reue für seine Tat bekannt, jetzt spülte bittere Eifersucht jede Spur von Bedauern fort und er hasste sie beinahe für ihre selbstgerechte Empörung. »Was sagt er denn, dein kostbarer Donovan?«, stieß er höhnisch hervor.
»Nichts«, erwiderte Ava steif, »er sagt, er weiß nicht, was in dich gefahren ist.«
»So? Frag ihn, ob er es überhaupt noch bis zur Hochzeit aushält, in Gedanken hat er dich nämlich schon in seinem Bett, Ninian!«
Er lächelte, als er die Wirkung seiner Worte sah.
Ava wich zurück, als habe er sie geschlagen. Ihre Wangen brannten vor Scham und sie musste sich die Wut nicht mehr einreden.
»Du gemeines Scheusal, du bist ja widerlich, widerlich«, sie stampfte mit dem Fuß auf. Ein leises Zittern lief durch den Boden. »Ich glaube dir nicht! Du lügst, du willst ihn nur schlecht machen, du ...«
Mit zwei Schritten war er bei ihr, packte ihre Arme und schüttelte sie.
»Nein, ich lüge nicht. Hast du vergessen, dass ich Gedanken sehen kann? Selbst wenn ich nicht will! Frag ihn doch, wenn du mir nicht glaubst.«
Ava riss sich los.
»Fass mich nicht an!«
Sie warf den Kopf in den Nacken und fauchte, außer sich vor Zorn:
»Und wenn es so wäre? Was geht es dich an? Es kann dir doch ganz gleich sein, was Donovan denkt.«
»Aber es ist mir nicht gleich, verstehst du«, schrie er zurück. »Ich wünschte, verdammt noch mal, es wäre anders, aber ich kann es nicht ertragen!«
Plötzlich war seine Wut verraucht, er fühlte sich so elend und verzweifelt, dass ihm beinahe die Tränen kamen. Drei Tage Einzelhaft lagen hinter ihm und in der Nacht hatte er den Vätern Rede und Antwort stehen müssen. Nach scharfer Befragung hatten sie davon abgesehen, ihn zu blockieren oder fortzuschicken, aber sie hatten ihm ohne Schonung gezeigt, was sie von ihm hielten. Der Panzer aus Trotz und Hochmut hatte viele Risse bekommen. Als er sprach, klang seine Stimme rau.
»Ninian, du ... du setzt dich so für Donovan ein. Würdest du das auch für mich tun? Kein Mensch hat jemals für mich gesprochen, ich habe immer geglaubt, ich brauche niemanden, aber jetzt ... würdest du für mich so eintreten wie für ihn?«
Ava starrte ihn an. Seine Züge gaben den Aufruhr preis, der in ihm tobte und sie erkannte, dass er unendlich viel mehr als Hilfe und Fürsprache von ihr wollte.
Es war ein Fehler, von der schützenden Wut abzulassen – ein anderes, mächtigeres Gefühl stieg in ihr auf, drohte sie zu verschlingen. Sie konnte den Blick nicht von seinem blassen, gequälten Gesicht abwenden und ohne es recht zu merken, hob sie die Hand. Es schien so richtig, sie an seine Wange zu legen, ihn zu trösten ...
Wie eine Flamme loderte die Hoffnung in seinen Augen auf. Er trat einen Schritt auf sie zu. Wenn sie jetzt nur eine kleine Bewegung machte, nur ein liebevolles Wort sagte, wäre sie verloren.
»Und dein Land, deine
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