AvaNinian – Erstes Buch (German Edition)
gekommen. Sie war ihm bedenkenlos die Mauern hinaufgefolgt, vom ersten Augenblick an, hatte ihm vertraut, obwohl er doch wahrhaftig keinen Anlass dazu gab.
Wenn sie bei ihm war, lebte sie. Der Zorn war wirklich, aber auch die Freude, heftig und scharf, wie ein Windstoß, der ihr den Atem nahm. Sie hatte der Versuchung nachgegeben und jetzt war es zu spät, er hatte sie gefangen. Sogar einen neuen Namen hatte er ihr gegeben ...
Zornig stieß sie gegen das Geröll vor ihren Füßen, so dass es den Weg hinabkollerte. Sie wehrte sich gegen diesen Namen, er stand für alles, was sie fürchtete. Was sollte daraus werden, wenn sie ganz zu Ninian wurde und Jermyn nach Dea folgte? Sollte sie dort in einem schäbigen Loch sitzen, verfolgt und geächtet, und davon leben, was er zusammenstahl?
Ava ballte die Fäuste. Niemals würde sie das tun, niemals. Bald war die Zeit im Haus der Weisen zu Ende, ihre Wege würden sich trennen, sie würde ihn vergessen. Und so lange musste sie sich von ihm fernhalten, so gut es ging – sie würde es nicht ertragen, ihn immerfort zu sehen. »Warum ist er nicht wie Vater?«, dachte sie unglücklich, doch die Geschichte ihrer Eltern würde sich nicht wiederholen. Für sie gab es nur den Verzicht.
Niedergeschlagen ließ sie sich auf den Felsen sinken und rang um die Gelassenheit, die ihr früher Gewohnheit gewesen war.
Jermyn füllte die Lederflasche am Brunnen im Kreuzgang. Es war seine letzte Handlung im Haus der Weisen und er ließ sich Zeit. Vater Dermot hatte ihm Lebewohl gesagt und ihn recht großzügig mit Empfehlungsbriefen, Geld und vor allem aber mit guten Ratschlägen ausgestattet.
Jermyn verzog das Gesicht. Er war seinem Lehrer für manches dankbar, aber die Predigt hätte er sich sparen können, es gab kein anderes Ziel als Dea für ihn.
Jetzt blieb nur noch eines zu tun. Er verstaute die volle Flasche in dem Ranzen, den er zusammen mit neuen Kleidungsstücken von den Vätern bekommen hatte. Wenigstens nahm er mehr mit, als er hergebracht hatte.
Zum letzten Mal trat er in das taufeuchte Gras des Innenhofes, die Sonne war gerade erst aufgegangen. Auf dem steinernen Mittelstern blieb er unschlüssig stehen. Ninians Zelle war immer noch verlassen, er musste sie im Haus der Heilung suchen.
Vom Kapitelhaus kam Quentin auf ihn zu. Er warf einen Blick auf den Rucksack. »Sie schicke' dich also weg.«
Jermyn starrte ihn ausdruckslos an, dann zuckte er die Schultern und erwiderte niedergeschlagen:
»Sieht so aus. Ich werd' mich gleich auf den Weg machen, schätze ich.«
Quentin nickte langsam. »Für mich werd's aa bald soweit sei. Kann net sage, dass es mir leid tut, heim z' komme. Drei Jahr san a lange Zeit.«
Er lächelte versonnen und Jermyn empfand plötzlich Neid. Quentin erwarteten sie in seiner Heimat, sehnsüchtig vielleicht, und seine Heimkehr würde gebührend gefeiert. Er selbst dachte lieber nicht daran, was vor ihm lag. Als er mit knappem Nicken an Quentin vorbeigehen wollte, überraschte ihn der Köhler, indem er ihm die Hand hinstreckte.
»Ich wünsch dir viel Glück, Jermyn, lass uns friedlich scheide und gut voneinander denke.«
Es war ein förmlicher Abschiedsgruß, aber Quentin sah aus, als meinte er, was er sagte. Zögernd ergriff Jermyn die große Hand.
»Ja, ich wünsch dir das gleiche«, erwiderte er verlegen, er war es nicht gewohnt, so zu reden. Und plötzlich hatte er das Gefühl, etwas ins Reine bringen zu müssen:
»Damals, die Schlägerei ... das war schäbig und feige. Trag's mir nicht nach, Bruder.«
Quentin schmunzelte. »Is scho gut, mei Freund. Ich bin dir nix schuldig bliebe, oder?«, er grinste breit. »Schätze, mir san quitt, außerdem kann ich mir denke, was di antriebe hat.«
Er zwinkerte und Jermyn errötete zu seinem Ärger.
»Sieht man es so deutlich?«, knurrte er unwillig.
»No na, in letzter Zeit scho, aber ich denk, es geht dir scho länger so.«
Jermyn antwortete nicht. Kein Wunder, dass die Väter ihn wegschickten, wenn ihn schon Quentin durchschaute. Mutlos nahm er den schweren Rucksack auf und nickte dem anderen zu.
»Also, gehab dich wohl, ich zieh jetzt los.«
Er wandte sich zum Gehen, aber Quentin meinte listig:
»Ava is net im Haus der Kranke. Sie is überhaupt net in der Schul, die Väter han sie fortg'schickt.«
Jermyn fuhr herum.
»Was? Was sagst du da? Wo ist sie denn?«
Quentin musterte ihn nachdenklich.
»Mir san kaane Freund gwese, Jermyn, aber ich find, du solltest ihr wenigstens Lebewohl sage
Weitere Kostenlose Bücher