AvaNinian – Erstes Buch (German Edition)
Kopf.
»Nichts, Patron, ich kann seine Sperren nicht durchdringen«, murmelte er.
Jermyn beugte sich vor und riss ihm mit einer schnellen Bewegung die Gläser fort. Der Mann schrie auf und bedeckte das Gesicht mit den Händen, aber Jermyn hatte die leeren Augenhöhlen schon gesehen. Er lachte.
»Hattet Ihr das auch mit mir vor, Fortunagra? Damit mich der Anblick der Welt nicht von der Gedankenarbeit in Euren Diensten ablenkt? Oder hättet Ihr Euch mit dem gekappten Ohr zufriedengegeben, wenn ich fügsam wäre? Ich werde es wohl nie erfahren, denn ich pfeife auf Euren Schutz und Eure Unterstützung.«
Ohne Vorwarnung stieß sein Geist in die Geistsphäre des Edelmannes. Ein gutgewobenes Netz umgab sie, dichter und raffinierter als Slicks Sperre, aber es konnte ihn ebenso wenig aufhalten. Mit schneidender Klinge fuhr er hindurch und bemächtigte sich Fortunagras Willen.
Der Mann wehrte sich, Schweißtropfen erschienen auf der weißen Stirn, die langen Finger scharrten über das Holz, aber er konnte dem schwarzen Blick nicht entrinnen.
»Ich werde mein Augenlicht behalten und mein Ohrläppchen brauche ich noch für einen fetten goldenen Ring. Eure feinen jungen Herren werden eines Tages mich nachahmen, verlasst Euch darauf. Gebt mir Euren Dolch und befehlt Euren Männern, mich gehen zu lassen, sonst nehme ich Euch den Verstand!«
Fortunagra wurde leichenblass. Jermyn spürte seinen wütenden Widerstand, aber der Edelmann war ihm nicht gewachsen, wie mit Schraubzwingen hielt Jermyn seinen Willen umklammert. »GIB MIR DEN DOLCH UND BEFIEHL IHNEN, MICH GEHEN ZU LASSEN!«
Der Widerstand erstarb. Mit schlaffer Hand reichte der Ehrenwerte Jermyn die juwelengeschmückte Waffe.
»Lasst ihn gehen«, lallte er, »ich habe nichts mit ihm zu schaffen.«
Jermyn nahm die Klinge und ging rücklings zur Tür, bis er gegen sie stieß. Slick und Magister Priam rührten sich. Der blinde Gedankenleser verstand, was vorging, aber ebenso sicher wusste er, dass er Jermyn nichts entgegensetzen konnte. In sich zusammengesunken saß er da, das Gesicht mit den leeren Augen in den Händen verborgen. Die beiden anderen hatten nur gesehen, dass ihr Herr und der junge Schnösel sich schweigend anstarrten, den seltsamen Befehl gehört und gesehen, wie der Dolch übergeben wurde. Beide kannten die Macht des Geistes und Magister Priam erhob sich von seinem Stuhl, während Slick einen unsicheren Schritt zur Tür machte. Jermyn weitete seinen Geist.
» Bleibt, wo ihr seid. Ihr könnt euch nicht rühren, bis der erste von euch sein Wasser nicht mehr halten kann.«
Wie erstarrt blieben sie stehen, unfähig, ein Glied zu bewegen. Jermyn öffnete die Tür einen Spalt und schlüpfte hinaus. Draußen lehnte er sich an die Wand und holte tief Luft. Sein Kopf hämmerte. Es war nicht einfach, mehrere Leute in Schach zu halten – er durfte die Übungen nicht so vernachlässigen, wie er es in der letzten Zeit getan hatte.
Als er sich erholt hatte, verstaute er sorgfältig Fortunagras Dolch und sprang die Stufen hinunter. Er hatte schon die Hand am Riegel, als ein schauerlicher Ton aus dem Dunkel hinter ihm heraufstieg. Ein hohes Kreischen, kaum menschlich, und beinahe hätte er selbst aufgeschrien unter der Woge von Qual, die seinen überwachen Geist ansprang, durchwoben von den Stichen eines grausamen Ergötzens.
Er verschloss sich hastig und ohne nachzudenken tastete er sich die dunkle Treppe hinunter. Tief und steil ging es hinab, aber nach einigen Windungen fiel ein schwacher Lichtschein auf die Stufen. Wieder gellte ein Schrei, ein zweiter, sie folgten einander, steigerten sich ins Unerträgliche und als Jermyn den Gang am Fuße der Treppe erreicht hatte, rannte er.
An seinem Ende stieß er auf eine schwere, eisenbeschlagene Holztüre. Sie stand einen Spalt offen, Licht drang heraus und der Schlüssel steckte im Schloss. Sie mussten sich sehr sicher sein, dass niemand sie stören würde.
Die Schreie waren zu hilflosem Fiepen herabgesunken. Es flehte, beschwor und erntete fettes, genießerisches Lachen. Ein zitterndes Aufschluchzen, dann schraubte sich die gequälte Stimme von neuem empor. Jermyn stieß die Tür auf.
Vor ihm lag nicht das düstere Verließ, das er erwartet hatte. Fackeln und teure Wachskerzen brannten hell, ein Feuer prasselte im Kamin. Die eine Seite des Kellers war mit einladenden Lehnstühlen und Teppichen an den Wänden und auf dem Boden sogar behaglich eingerichtet. Auf einem Tisch standen eine Weinkaraffe und zwei
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