AvaNinian – Erstes Buch (German Edition)
geholt hatte, gab es nicht mehr.
Vater Dermot hatte sie gehen lassen, mit eindringlichen Worten über die Aufgaben und Pflichten, die sie erwarteten. und der Warnung, nicht von ihrer Bestimmung zu lassen. Er mochte geglaubt haben, dass es ihr in der vertrauten Umgebung leichter fallen würde, Jermyn zu vergessen – sie hatte es selbst sehnlichst gehofft.
Aber als sie jetzt am Fenster des alten Wachturms stand und gegen den Sog der Ferne ankämpfte, musste sie sich eingestehen, dass es ihr nicht gelungen war. Jermyn hatte recht gehabt – sie war nicht mehr nur Ava, Ninian hatte Besitz von ihr ergriffen und ließ sich nicht mehr vertreiben.
Im Schlosshof herrschte heftiges Gedränge, als sie von ihrem Ritt zurückkam. Ein Wagenzug hatte sich eingefunden, um Verpflegung und Waren aus dem Schloss einzuladen. Vor allem Stoffe aus der Webschule der Fürstin waren begehrt, sogar die verwöhnten Damen aus Dea schätzten sie. Ava sah zu, wie Knechte die großen Ballen sorgfältig verluden und bekam eine Gänsehaut. Der Zug ging nach Dea, sie bräuchte nur in einen der Wagen klettern ...
»Sei nicht albern«, wies sie sich streng zurecht, »du wirst hier bleiben und deine Pflicht tun. Du bist nicht Imeke, die für einen Mann alles stehen und liegen lässt.«
Die Magd stand in der Küchentür und blickte trübselig auf das Durcheinander von Wagen, Ochsen und Menschen. Plötzlich weiteten sich ihre Augen, mit einem Jubelschrei stürzte sie vor und warf sich einem schlaksigen, jungen Mann in die Arme.
Er war aus einem der Wagen geklettert und hatte sich gähnend gestreckt. Sein abgetragenes, buntscheckiges Gewand sah aus, als habe er es seit vielen Tagen nicht gewechselt. Er schien etwas verdutzt von dem Überfall, aber gleich lachte er wieder lustig und drückte das Mädchen an sich. Imeke strahlte vor Freude und zog ihn in die Küche. Die Hofleute und Fuhrknechte grölten anzügliche Bemerkungen hinter ihnen her, diese Romanze musste in aller Öffentlichkeit stattgefunden haben.
Ava schnürte es die Kehle zu. Sie hoffte, den beiden nicht noch einmal über den Weg zu laufen, und nachdem sie Luna einem Stallknecht überlassen hatte, suchte sie sich bedrückt einen Weg zwischen den Wagen. Vor der Treppe zum Fürstenhaus zögerte sie und wandte sich zum Nebeneingang. Sie würde einen langen Umweg durch die Weberei machen, ihre Eltern und die Tanten erwarteten sie im Speisesaal, aber ihr graute vor den besorgten und forschenden Blicken.
In den Sälen der Weberschule dagegen befand sich kein Mensch, die Stoffe waren abgenommen und die Mutter hatte den Weberinnen frei gegeben. Die hohen Räume, sonst erfüllt vom Lärmen der Webbäume und dem Zischen der Schiffchen, lagen verlassen im Halbdunkel. Morgen würden die Kettfäden aufgezogen und die Arbeit begann von neuem, aber heute war alles still.
Ava trat zu den Webstühlen. Als Kind war sie gerne hier gewesen, die flinken Bewegungen der Frauen, das rhythmische Klappern und die bunten Bilder, die an den Fäden emporwuchsen, hatten ihr gefallen. Die Mutter hatte ihr einen kleinen Webstuhl eingerichtet und versucht, ihr die geliebte Tätigkeit nahe zu bringen. Zu ihrem Kummer hielt es Ava jedoch nie lange bei der Arbeit und zwingen wollte sie die Tochter nicht.
Gedankenverloren strich Ava über das glatte, schimmernde Holz. Die Fürstin liebte die Weberei von ganzem Herzen. Sie hatte immer darunter gelitten, dass es ihr nicht erlaubt worden war, in die Klosterweberei einzutreten und ihren Ehrgeiz darein gesetzt, die beste Webschule außerhalb des Klosters aufzubauen. Es war ihr gelungen, aber wie würde es weitergehen? Wer würde nach der Mutter die Schule weiterführen?
Ava biss die Zähne zusammen. Auch diese Aufgabe wartete auf sie, sie durfte das Lebenswerk der Mutter nicht einfach aufgeben. Wie zur Bekräftigung rappelte ein Webbaum und erschrocken fuhr sie herum.
»Ist jemand hier?« Sie spähte ins Zwielicht. Eine Gestalt erhob sich hinter einem der großen Brokatwebstühle und kam zögernd näher.
»Ver...verzeiht, ich wollte Euch nicht erschrecken.«
Die junge Frau lächelte schuldbewusst und knickste. Ava erkannte sie.
»Neela? Was machst du hier? Ihr habt doch Feiertag.«
Neelas Eltern waren bei einem Erdbeben ums Leben gekommen und die Fürstin hatte das Mädchen ins Kinderhaus geholt. Schüchtern und unscheinbar, war sie dennoch eine hervorragende Weberin geworden und die Fürstin hielt große Stücke auf ihre Kunst. Jetzt lag ein rosiger Schimmer auf den
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