AvaNinian – Erstes Buch (German Edition)
nach Pferd riechende Filzkapuze vom Haken, ließ sich in den Sattel helfen und schlug die weite Rockfalte über die Beine.
Sie lenkte Luna über den Hof unter dem Torbogen her durch die Obstwiesen, den Weg hinauf in die Hügel. Jeden Morgen machte sie diesen Ausflug, wenn sie nicht ihren Vater auf seinen Ausritten begleitete. Bei schönem Wetter genoss sie es sogar, aber als Luna sie heute durch den staubfeinen Regen trug, empfand sie niedergeschlagen die ewige Gleichheit der Tage. Grau und trüb waren sie, wie der wolkenverhangene Himmel. Sie konnte kaum glauben, dass sie dieses Einerlei einmal gemocht hatte.
Sie überließ es Luna, den Weg durch die grünen Hügel zu finden. An seinem Ende erhob sich ein alter Wehrturm, der in diesen friedlichen Zeiten nicht mehr bemannt war. Die Stute kannte das Ziel ihrer täglichen Morgenritte und blieb mit hängendem Kopf im Windschatten des Turmes stehen. Ava glitt aus dem Sattel, öffnete die Tür mit dem Schlüssel, den sie ihrem Vater abgeschmeichelt hatte und stieg die Treppen hinauf. Bei besserem Wetter war sie auch einmal außen hochgeklettert – um in Übung zu bleiben, hatte sie sich eingeredet. Doch bei jedem Zug hatte sie an Jermyn denken müssen und oben waren ihr die Tränen gekommen. Seither kletterte sie nur noch in den Felsen, wie sie es als Kind getan hatte.
In der Turmstube lehnte sie sich in die Fensteröffnung und schaute über das hügelige Land, das in sanften Hängen immer flacher dahinfloss. Heute verschwammen sie mit dem Himmel zu einem grüngrauen Nebel, doch an klaren Tagen sah man die Straße, die sich vom Schloss in die Ebene schlängelte. Fünfmal hatte sich der Mond gewandelt, seit sie zu Beginn des Windmondes über diese Straße nach Tillholde zurückgekehrt war. Nun stand die Frühjahrssaat bevor.
Es war eine Flucht gewesen.
Sie konnte sich nicht erinnern, wie sie nach dem Abschied von Jermyn zurückgefunden hatte. Seine Abschiedsworte hatten ihr in den Ohren gegellt, der Drang ihm nachzulaufen war so stark gewesen, dass sie sich in ihrer Kammer eingeschlossen hatte.
Wenn es so war, wie er gesagt hatte – wie sollte sie es ertragen, dass er fort war und sie ihn vielleicht nie wieder sah?
Ihr Stolz war ihr gegen den Anspruch, den er auf sie erhob, zu Hilfe gekommen. Sie wollte ihn vergessen und hatte sich in ihre Übungen zurückgezogen, so sehr, dass die Väter ihr manchmal Einhalt geboten. Dann hatte Quentin das Haus der Weisen verlassen und sie war überrascht gewesen, wie sehr sie ihn vermisste. Nach seinem Abschied hatte sie lange und heftig in ihrer Zelle geweint. Es hatte sie erleichtert, denn die Tränen um Jermyn hatte sie heruntergewürgt.
Zuletzt war nur noch Donovan übriggeblieben, Donovan, der ihr nicht mehr in die Augen sah, dessen Blicke sie aber spürte, wenn sie ihm den Rücken kehrte. Eines Tages war eine Gruppe junger Edelleute gekommen, um ihn im Auftrag des Patriarchen auf eine Reise fortzuholen. Ihr Lebewohl war steif und befangen gewesen, sie hatte all ihre Willenskraft aufbringen müssen, um ihre Hand nicht wegzuziehen, als er sich darüber beugte.
Donovans Abreise hatte sie von einer Last befreit, aber danach war es sehr einsam im Haus der Weisen geworden. Sie hatte weiter ihre Übungen gemacht, um die Kräfte zu beherrschen, über die ihr Gewalt gegeben war, und so hatte sie gelernt, die geheimnisvolle Kraft herbeizurufen, die sich in den Wolkentürmen bildete und in flammenden Speeren auf die Erde herabfuhr.
»Das kalte Feuer strebt zu mir, weil es nur in meinem Schoß Ruhe findet und weil ich dich mit meinem Wesen begabt habe, wird es dir nicht schaden.«
So hatte die Erdenmutter von den elementaren Kräften in ihren Diensten gesprochen.
Dass es so war, wusste Ava schon lange, aber jetzt gelang es ihr, das Himmelsfeuer aufzunehmen und in sich zu bewahren. Nachdem der Vater Wettermeister sich von seinem Staunen erholt hatte, warnte er sie, nicht leichtfertig von dieser verheerenden Kraft Gebrauch zu machen.
Schließlich hatte sie die Einsamkeit nicht mehr ertragen. Alles im Haus der Weisen erinnerte sie an Jermyn. Am Tage gelang es ihr nicht, ihn aus ihren Gedanken zu verbannen und nachts suchte er sie in ihren Träumen heim. Zuletzt war sie zu Vater Dermot gegangen und hatte um ihren Abschied gebeten.
Der Lehrer hatte sie lange und gründlich gemustert und unter seinem Blick war ihr heiß geworden. Sie wusste, was er suchte, aber das unbeschwerte, gelassene Mädchen, das Vater Pindar aus Tillholde
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