Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
AvaNinian – Erstes Buch (German Edition)

AvaNinian – Erstes Buch (German Edition)

Titel: AvaNinian – Erstes Buch (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ina Norman
Vom Netzwerk:
gestützt von einer Unzahl verschlissener Kissen und Polster und sah ihnen misstrauisch entgegen. Die Augen lagen tief in den Höhlen, schüttere, ergraute Bartsträhnen hingen vom Kinn auf die Brust. Wag machte einige nichtssagende Bemerkungen, auf die der Alte mit schwachem Nicken antwortete. Als Jermyn ihm das kleine Lederpäckchen reichte, streckte er gleichgültig eine schlaffe Hand aus. Kaum aber hatte er den Ring ausgewickelt, weiteten sich die trüben, braunen Augen. Das runzlige Gesicht wurde fahl. Ein Gurgeln drang aus seiner Kehle und als er den Mund öffnete, wurde der vertrocknete Stumpf seiner Zunge sichtbar, der keine Worte mehr formen konnte.
    Hastig wickelte er den Ring ein und schob ihn über den niedrigen Tisch zurück. Abwehrend schüttelte er den Kopf und streckte zwei Finger aus, als wolle er sich vor Unheil schützen.
    »Der will nix mit uns zu tun ham«, meinte Wag verblüfft. Jermyn aber hockte sich vor den Alten nieder und hielt ihm das Juwel unter die Nase.
    »Du kennst das also, mein Freund«, er blickte sein Gegenüber fest an. »Warum erschreckt es dich?«
    »Er kann doch nix sagen«, erklärte Wag, »hier, du musst ihm die Schreibtafel geben.« Er hob eine Schiefertafel auf, die auf den Boden gefallen war, legte sie dem Alten in den Schoß und steckte ihm den Griffel in die teilnahmslosen Finger. Der Kunsthändler rührte sich nicht.
    »Halt jetzt die Klappe, Wag. Wenn du nur ein Wörtchen sagst, reiß ich dir auch die Zunge raus!«
    Jermyns Stimme duldete keinen Widerspruch. Der alte Mann zuckte zusammen, zornige Röte flog über seine Züge, aber sein Blick hing wie gebannt an Jermyn. Die beiden ungleichen Männer starrten sich unverwandt an und eine lange Weile war es still. Wag sah ängstlich von einem zum anderen, er wagte nicht sich zu rühren.
    Endlich seufzte Vitalonga tief, senkte die Augen und kritzelte ein paar Worte auf die Tafel. Er schleuderte sie über den Tisch und Jermyn griff gierig danach. Der alte Mann aber sank mit geschlossenen Augen in den Diwan zurück.
    Jermyn stand langsam auf. Er war blass, kleine Schweißtropfen standen auf seiner Stirn. Aber die schwarzen Augen funkelten triumphierend. Er überflog die Worte auf der Schiefertafel.
    »Kannst du lesen?«
    Wag nickte stolz.
    »Hab's von die Grauen Brüdern gelernt, die dachten, sie machen einen Schreiber aus mir, war aber nix, weil ...«
    »Schwatz nicht, lies!«, fuhr Jermyn ihn an und stieß ihm die Tafel unter die Nase.
    »Au...gen...achat«, buchstabierte Wag mühsam, »ge...hört der ... – Mensch, Patron«, unterbrach er sich aufgeregt, »das is ja ...«
    »Lies weiter!«
    »... der Fa...mi...lie Ca...Castlerea, ist verschw...schwu...verschwunden.«
    Der kleine Mann starrte auf die hingekritzelten Worte.
    »Der Brautschatz«, flüsterte er.
    Jermyn grinste. »Ja, der Brautschatz, nach dem die ganze Stadt sucht. Lass uns abhaun.«
    »Was ist mit ihm?« Wag deutete auf die zusammengesunkene Gestalt, aber Jermyn zuckte die Schultern.
    »Ihm ist nichts geschehen, er schläft nur. Wenn er aufwacht, hat er alles vergessen. Jetzt komm endlich.«
    Von diesem Tag an war sein ganzes Sinnen und Trachten auf die Entdeckung des Brautschatzes gerichtet. Er vergaß darüber seine Abneigung gegen Wag und manchmal sogar den Kummer um Ninian.
    18. Tag des Saatmondes 1464 p. DC
vier Mondläufe später
    Halb verborgen hinter einem langen Vorhang aus wildem Wein musterte Jermyn die Stadtmauer, die mächtig vor ihm aufragte. Aus wuchtigen, nahezu fugenlos geschichteten Quadersteinen errichtet, stammte sie aus jener älteren Zeit, in der die Menschen Bauwerke für die Ewigkeit geschaffen hatten. Nur an wenigen Stellen waren durch die Verwitterung Furchen und Risse entstanden, die man zum Klettern nutzen konnte – von unten hatte er bis jetzt keinen halbwegs gangbaren Weg entdecken können. Eine Herausforderung also und die kam ihm gerade recht.
    Er stand im Schatten eines Torbogens auf der anderen Seite der Gasse, um keine unerwünschte Neugier zu erregen. Der Palast des Ehrenwerten Fortunagra grenzte hier an die alte Stadtmauer und es schien keine bessere Stelle zu geben, um in das schwer bewachte Gebäude einzudringen. Von dieser Seite würde Fortunagra keine Gefahr fürchten, nur ein Vogel konnte eine vierzig Fuß hohe, lotrechte Wand überwinden. Aber, wie hatte Seykos, der Einbrecher gesagt?
    »Was Menschen gebaut haben, kann auch von Menschen bezwungen werden, du musst nur wissen, wohin du Hände und Füße setzen

Weitere Kostenlose Bücher