AvaNinian – Erstes Buch (German Edition)
musst, du kleiner Mistkerl.«
Jermyn zog eine Grimasse. Seykos hatte ihn buchstäblich mit der Nase auf die richtigen Stellen gestoßen, er war ein harter Lehrmeister gewesen. Aber der »kleine Mistkerl« hatte sich als geschickter Schüler erwiesen – dürr und schmächtig, so dass er nicht viel Kraft brauchte, um sich hoch zu hangeln. Seykos hatte Ganev gezwungen, den Jungen besser zu füttern als die anderen und ihn immer häufiger vorgeschickt, wenn es galt, eine schwierige Mauer zu überwinden. Erst wenn der Junge ein Seil sicher an einem Haken oder Fensterkreuz befestigt hatte, war er selbst gefolgt. Täglich hatte Jermyn unter seiner Anweisung Knoten üben müssen, jeden Fehler hatte Seykos ihm um die Ohren gehauen.
Auf diese Weise hatte Jermyn schnell gelernt. Das Klettern war ihm zum Bedürfnis geworden und er hatte seinen Ehrgeiz daran gesetzt, Seykos Ansprüchen in allem zu genügen, obwohl ein einziger loser Knoten ihn aus der Fron befreit hätte. Und Seykos hatte ihm vertraut.
Als Jermyn nun den Fuß der Mauer nach einem Einstieg absuchte, merkte er zu seiner Verwunderung, dass er dem Mann dankbar war. Dankbar für die Kletterei, die ihm das Leben erträglich machte und nicht schlecht für seinen Unterhalt sorgte. Er hatte seine Kunst an einer ganzen Reihe von Palästen und vornehmen Häusern erprobt, aber er war vorsichtig gewesen, um das reiche Volk nicht zu sehr in Unruhe zu versetzen. Die Schlafräume, die er heimsuchte, lagen hoch über dem Erdboden. Es ließ ihn kalt, dass der Verlust der Anstecknadeln, Schuhschnallen, Ohrgehängen und Börsen einem armen Teufel aus der Dienerschaft angelastet wurde. Seine kleinen Beutestücke brachte er in verschiedenen Vierteln unter die Hehler und wenn er sein Geld erhalten hatte, langte er in ihr Gedächtnis und löschte ihre Erinnerung an ihn aus. So konnte er sein Treiben eine Weile vor den großen Patronen verborgen halten.
Doch das war nur Kleinkram, gerade gut genug, um sich über Wasser zu halten, bis er einen großer Einbruch landete. Einen Einbruch, der ihm Reichtum und Ruhm bescheren würde.
Zufrieden krümmte er die Finger. Obwohl er im Haus der Weisen geklettert war, hatte es eine Weile gedauert, bis seine Hände die alte Geschicklichkeit und Kraft erlangt hatten. Jetzt konnte er sich wie früher mit zwei Fingern an einer Wand hochziehen und dafür mussten die winzigen Vertiefungen in dem alten Gemäuer reichen.
Wenn es ihm gelang, die Mauer zu überwinden und in Fortunagras Festung einzudringen, und wenn er fand, was er vermutete, wäre das ein Meisterstück, von dem die dunklen Viertel widerhallen würden!
Jermyn grinste schwach. Prahlerische Gedanken, aber in der nächsten mondhellen Nacht würde er einen ersten Versuch wagen.
Er vergewisserte sich, dass niemand sah, wie er seinen Beobachtungsposten verließ und schlenderte wie ein Müßiggänger durch die menschenleere Gasse. Wo sie in eine breite Straße mündete, mischte er sich in den Strom der Menge.
Am nächsten Brunnenplatz fand er Wag beim Himmelsspiel. Das Spielfeld war mit nachlässigen Kreidestrichen auf das Pflaster gemalt und die Spieler stritten hitzig über den letzten Wurf. Als Jermyn näher kam, sah er, dass der Spielstein, eine blinkende Silbermünze, gerade auf der Linie zwischen zwei Feldern lag.
»Och, ihr Dösköppe, sperrt doch eure Glubscher auf«, krähte Wag entrüstet. »Die liegt weiter im Paradies als in der Hölle. Un außerdem hab ich noch nie so 'ne krumme Linie gesehen, die macht da grade 'nen Knick.«
Er schien sich auf einen langen, vergnüglichen Streit einzurichten, als er Jermyn bemerkte, der mit verschränkten Armen am Brunnen lehnte. Sogleich verließ ihn seine Keckheit, flehentlich schaute er herüber, aber Jermyn runzelte ungeduldig die Brauen und mit einem bedauernden Blick auf seine Münze murmelte Wag:
»Hm, hab mich wohl geirrt. Äh, ich muss dann auch los ...«
Unter dem Gelächter der anderen Spieler schlich er davon. Jermyn verließ den Brunnenplatz zur anderen Seite, aber wenig später gesellte sich der kleine Mann zu ihm.
»Ich hätt sie schon dran gekriegt, wenn du mir 'nen bisschen Zeit gelassen hättest, Patron«, murrte er, »'ne ganze Silbermünze hab ich verloren.«
»Selbst schuld«, erwiderte Jermyn unbarmherzig, »und nenn mich nicht Patron, Schwachkopf. Hast du was über unseren Mann herausgefunden?«
»Nee, keiner konnt was mit der Beschreibung anfangen oder wollt vielleicht auch nich damit rausrücken. Is nich gut, in
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