AvaNinian – Erstes Buch (German Edition)
hineingesetzt, es war trübselig hier und es gab nichts zu holen.
Doch Wag ging unbeirrt mitten hinein in den schweigenden Verfall und führte Jermyn an Mauern und Säulen vorbei zu einer gewaltigen, reich verzierten Fassade. Die Statuen in den Nischen hatten die Zeiten nicht überdauert, aber Reste der anmutig geschwungenen Blumengirlanden aus winzigen farbigen Steinen waren zurückgeblieben und glitzerten im blassen Winterlicht. Die drei großen Portale waren mit Schutt gefüllt. Wag lief an der Front des Gebäudes vorbei und bog in einen schmalen Durchgang zwischen den Trümmern ein. Vor einer kleinen Tür am Ende der Gasse blieb er stehen und deutete auf eine Schnur, die um seinen Hals hing.
»Schließ auf. Ich kann's zwar auch, aber es dauert.«
Mit spitzen Fingern nahm Jermyn ihm die Schnur ab, an der ein altertümlicher Schlüssel hing. Er drehte sich überraschend leicht im Schloss und die Tür schwang ohne Geräusch auf.
Sie betraten den Innenhof und Jermyn sah, dass die beeindruckende Fassade nur eine leere Hülle war – die Trümmer des Gebäudes füllten den Hof, die letzten Brocken berührten beinahe seine Stiefelspitzen.
Am anderen Ende des Hofs aber erhob sich ein schlichterer Bau, dessen untere Stockwerke unbeschädigt waren. Wag lief über das gesprungene Pflaster zu dem zweiflügeligen Tor und bedeutete Jermyn mit einer großspurigen Geste einzutreten.
»Was sagste nun, Patron?«, fragte er stolz, als Jermyn in der Tür stehen blieb und sich wider Willen beeindruckt umsah. Aus der weiten Halle hatte sich einst eine Treppe in die oberen Stockwerke geschwungen, sie war eingestürzt, nur einige Pfeilerstümpfe ragten bis zur Galerie. Wag zupfte Jermyn am Ärmel.
»Da kommste nich mehr hoch, aber hier unten hab ich mich fein eingerichtet.«
Die Räume, in die er Jermyn führte, mussten Küche und Vorratsräume gewesen sein, außer dem Kamin gab es einen gemauerten Herd in der Mitte und an den Wänden Regale aus hartem Holz, das die Zeit unbeschadet überstanden hatte. Ein Tisch, ein paar wackelige Stühle und eine ungeschickt gezimmerte Bank schienen aus jüngeren Tagen zu stammen. Von der Küche führte eine kleine Tür in eine fensterlose Kammer, in der Wag in einem Alkoven eine Bettstatt aus Lumpen aufgehäuft hatte.
»Hier wohn ich und du findst hier auch noch Platz«, erklärte er großzügig. Jermyn ging nicht auf das Angebot ein, er trat hinaus in die Halle und deutet zu der Galerie hinauf.
»Was ist dort oben?«
»Weiß ich nich«, antwortete Wag gleichgültig, »da musste fliegn können, um da rauf zu kommen. Zimmer für die feinen Herrschaften, nehm ich an. Der alte Kerl, der vorher hier gehaust hat, hat erzählt, da hätt'n früher die Kon... Konku... dingsda, na, die Weiber halt gewohnt, sogar 'ne Kuppel hat's gegeben, aber die is hin, sie ham Bretter gegen den Regen eingezogen. Vierzig Jahre war der allein hier un geheult hat er, weil alles kaputt war.«
»Wo ist er jetzt?«
»Na, tot, oder? Sonst wär ich nich hier. Er hätt nich erlaubt, dass sich hier noch jemand einnistet. Das war alles sein's«, Wag machte eine weitausholende Geste, die das ganze Ruinenfeld umschloss, »un obwohl er so alt war, konnt er ganz schön ösig werdn. Aber letzten Sommer is er gestorben. Als ich ihn gefunden hab, war er ausgedörrt wie 'n Stück Salzfleisch.«
»Woher kanntest du ihn?«
Jermyn war zu dem Pfeiler getreten und betastete prüfend das Mauerwerk. Wag grinste verlegen.
»Na ja, ich wollt an seine Taschen, is schon 'ne Weile her. Er machte Löffel un Bürsten un so Zeug, saß immer unter Willard sein Torbogen – is 'n gutmütiger Kerl, der Schmied – un als er einmal abends fast seinen ganzen Kram verkauft hat, bin ich hinter ihm her. Aber als ich gerade an ihm ran war, is mir 'n anderer zuvor gekommen, hat ihn einfach umgeworfen, den Alten, 'n paar Tritte un weg warn die Gröschelchen un ich hatte mal wieder das Nachsehn. Aber der Alte hat so gejammert un geblutet hat er auch – siehste, un da hab ich ihm geholfen un hergebracht un danach durft ich ihn manchmal besuchen. Was machste denn?«, Wag starrte entgeistert nach oben. »Komm runter, biste lebensmüde oder was? He, Mann ...«
Jermyn antwortete nicht, er war schon halbwegs den Pfeiler hoch. Der Mauerrest war fest und bot so viel Halt wie eine Treppe. Oben schwang er sich über die Brüstung, ohne sich um den zeternden Wag zu kümmern und betrat die Räume, die an der Galerie lagen.
Der kleine Mann hatte Recht gehabt, es
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