AvaNinian – Erstes Buch (German Edition)
reizte ihn, wenn Wag ihm aus unglücklichen Hundeaugen nachsah, nachdem er ihm seinen Teil der Speisen auf den Herd geworfen hatte und die Küche verließ. In seinen dunkleren Stunden dachte er daran, den kleinen Mann wegzujagen.
Denn der Ort selbst sagte ihm zu, Abgeschiedenheit und Stille des Ruinenfelds waren eine Wohltat für seinen überwachen Geist. Hier konnte er die Sperren lockern, mit denen er sich gegen den immerwährenden Gedankenlärm in den Straßen schützen musste.
Warum er dem bösen Trieb nicht nachgab, hätte er nicht zu sagen vermocht. Stattdessen sorgte er für Wag, ohne viel auf dessen eifrige Beteuerungen zu geben, dass er das Seine schon tun werde, wenn er gesund sei.
Er brachte Wag sogar zu dem Bader, bei dem sie damals untergeschlüpft waren und bezahlte den Mann, als sich einer der nachwachsenden Fingernägel entzündete und geschnitten werden musste. Zuerst verfluchte er seinen lästigen Gefolgsmann und die Plage, die er ihm bereitete. Aber an jenem Tag erwies Wag ihm den ersten wirklichen Dienst.
Der Bader hatte Wag mit Branntwein abgefüllt, damit er die schmerzhafte Prozedur überstand und Jermyn mietete einen Karren, der den Kranken zurück in den Palast brachte.
Fiebernd lag er auf seinem Lager im Alkoven, während Jermyn im Schneidersitz auf dem kalten Herd hockte und sein Geld zählte.
»Der Kerl langt ganz schön zu«, knurrte er missmutig, »für das Geld hätte er dir den ganzen Finger absäbeln können.«
»Nee, vielen Dank, gib doch mal die Flasche rüber, Patron«, ließ sich Wag schwach vernehmen. Jermyn achtete nicht auf ihn, er glitt von seinem Sitz und nahm einen der Ziegelsteine aus der Ofenwand, hinter dem er seine Beute versteckte. Er holte den Lederbeutel heraus und schüttete den mageren Inhalt in seine Hand.
»Viel ist nicht mehr da, wird Zeit für einen neuen Fischzug«, murmelte er, »oder wir verhökern das hier.« Er hielt den Ring hoch, den er Wags Peiniger abgenommen hatte und betrachtete ihn von allen Seiten.
»Ich frage mich, wie der Kerl an so einen Ring gekommen ist. Er dürfte ein nettes Sümmchen einbringen. Solche Goldkrümel hab ich an dem Kram gesehen, von dem die Händler behaupten, er stamme aus der Alten Zeit und solche Steine auch. Sieht aus wie ein Auge ...«
Wag stützte sich auf den Ellenbogen.
»Ein Auge? Zeig her, Patron.«
»Was verstehst du schon von so was?«, fragte Jermyn verächtlich, aber er trat doch näher und reichte Wag das Schmuckstück.
Es war ein seltenes, kostbares Juwel von hohem Alter. Langes Tragen hatte den Goldreif abgeschliffen, die Fassung war dicht besetzt mit Goldkügelchen, winzig wie Staubkörner. Der Stein aber, leicht vorgewölbt und von barbarischer Größe, glich einem irren Rinderauge, mit tiefbrauner Pupille und bläulich-weißem Rand. Wag drehte ihn hin und her, rülpste leise und fuhr mit einem gesunden Finger darüber.
»Na, was ist, du großer Kunstkenner?«, höhnte Jermyn, aber der kleine Mann ließ sich nicht beirren.
»Von dem Ding, von so 'nem Auge, hab ich reden hörn, das müssn wa zu jemand bringn, der sich richtig mit Kunstzeugs auskennt. Ich weiß da einen. Mein früherer Patron, der Scheißkerl, hat oft Sachen von ihm gekauft. Wenn's mir wieda gut geht, bring ich dich hin.«
Wider Willen neugierig gemacht, versorgte Jermyn ihn notdürftig, flößte ihm die Tropfen des Baders ein, verband die hässliche Wunde und fühlte sich dabei sehr tugendhaft.
Wag hatte Glück. Nach zwei Tagen ging das Fieber zurück und drei weitere Tage später führte er Jermyn auf wackeligen Beinen zu dem Kunsthändler Vitalonga, der unter dem Uferbogen der Großen Brücke hauste.
»Er is so'n Dunkler, aus'm Süden«, plapperte Wag, während sie am Fluss entlanggingen, »aber er hockt schon lange da unten. Kann nich redn, der arme Kerl, kritzelt alles auf 'ne Tafel, is 'n bisschen mühsam mit ihm zu sprechen. Na, du wirst's ja sehn, Patron.«
Die Ladentür war nur ein Loch in der Ufermauer, selbst Wag musste den Kopf einziehen, als er hindurch kletterte. Die Stube dahinter aber glich einer Schatzhöhle. Trotz des milden Frühlingstages brannte ein helles Kaminfeuer, der Flammenschein tanzte über mit Regalen vollgestellte Wände und schlug Funken aus hunderterlei Trödel. Von der Decke hing eine fremdartige Messinglampe mit bunten Glasfenstern, die wenig tat, um das Dämmerlicht zu erhellen, der Tisch darunter reichte nicht höher als Jermyns Knie.
Der Kunsthändler hockte auf einem niedrigen Diwan,
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