AvaNinian – Erstes Buch (German Edition)
nicht aus den Augen. Wag und LaPrixa waren verschwunden, ihnen musste in dem allgemeinen Durcheinander die Flucht gelungen sein.
Er presste die Hand in die Seite und versuchte sich aufzurichten. Duquesne sah ihn finster an und er brachte ein höhnisches Grinsen zustande, aber als zwei Wächter ihn grob auf einen zweirädrigen Karren setzten, sackte er erschöpft zusammen. Nur aus weiter Ferne hörte er Duquesnes Stimme.
»Bringt ihn zum Stadthaus und flickt ihn zusammen. Morgen werde ich ihn mir vornehmen.«
13. Tag des Weidemondes 1464 p. DC
Am Abend des nächsten Tages hockte Jermyn hellwach und unruhig in einer spärlich eingerichteten Kammer des Stadthauses.
Neben Speise- und Schlafräumen für Reisende beherbergte es das Hauptquartier der Stadtwache. In den Kellern lagen Zellen und Verliese für jene, die wegen geringerer Vergehen in Gewahrsam genommen wurden. Kein Laut drang durch die dicken Mauern nach außen.
Es ging ihm nicht schlecht – nicht etwa ein Bader, ein richtiger Heilkundiger hatte in der Nacht seine Verletzung behandelt. Es war nur eine Fleischwunde, der Heiler hatte die Blutung gestillt und einen festen Verband angelegt. Seinen Schlaftrunk hatte Jermyn abgelehnt, obwohl der Mann bei seinem Eid schwor, dass es nur ein harmloses Tränklein sei. Schließlich hatte Duquesne gedroht, ihm den Trank wenn nötig mit Gewalt einzuflößen, und vom Blutverlust geschwächt hatte Jermyn nachgegeben. Der Schlaf war heilsam gewesen. Außer einer gewissen Steifheit und einem dumpfen Pochen spürte er nichts von der Verletzung. Dafür quälten ihn böse Ahnungen.
Die Tür öffnete sich und Duquesne trat ein, gefolgt von einem Diener.
Erleichtert sah Jermyn, dass er ein Tablett trug – seine letzte Mahlzeit hatte er gestern Mittag an einer Garküche eingenommen. Der Mann stellte einen Teller mit Eintopf und Brot, einen Weinkrug und einen Becher vor ihn und verließ den Raum. Jermyn hörte, wie er den Schlüssel im Schloss drehte. Duquesne wies mit dem Kopf auf die Speisen.
»Setz dich und iss.«
Jermyn schlenderte zum Tisch. »Ich trinke keinen Wein.«
Duquesne hob die Brauen, aber er klopfte an die Tür und rief: »Bringt Wasser!«
Erst als der Diener die Tür wieder hinter sich abgeschlossen hatte, setzte Jermyn sich und begann zu essen. Duquesne wartete, bis er beinahe fertig war.
»Wir müssen keine Komödie spielen«, begann er unvermittelt, »ich weiß, dass du hinter dem Brautschatz her bist und wichtige Dinge von dem Toten erfahren hast. Du wirst dieses Wissen mit mir teilen, wenn du hier herauskommen willst und zwar ohne Verzug.«
Diesmal war es an Jermyn, die Brauen zu heben. Er wollte seinen Gegner reizen und Zeit gewinnen, aber es beunruhigte ihn, wie gut Duquesne seine Absichten kannte.
»Ich verstehe kein Wort, von dem was du sagst. Du musst wirr im Kopf sein. Was hab ich mit dem Brautschatz zu tun?«
»Gib dir keine Mühe, kleiner Dieb«, höhnte Duquesne. »Ich lasse dich seit Tagen beobachten, ich weiß, wo du wohnst, wo du dich herumtreibst. Ich weiß, dass du die alte Stadtmauer hochgeklettert bist. Warum? Ein bisschen Leibesertüchtigung? Wohl kaum. Warum warst du bei Vitalonga? Der Alte wollte uns nicht sagen, was er mit dir zu schaffen hatte, aber es muss mit dem Brautschatz zu tun haben. Er hätte fast den Geist aufgegeben, als ich ihn danach fragte.«
»Und was hast du sonst mit ihm gemacht, großer Bastard?«, fuhr Jermyn auf, froh, seiner Wut Luft machen zu können. Die Bestürzung über die unbemerkte Beschattung wollte er sich nicht anmerken lassen. »Das ist alles, was ihr könnt – herumschnüffeln und einen alten Mann einschüchtern!«
Duquesne war weiß geworden und sein Mund verzerrte sich.
»Zum zweiten Mal hast du mich jetzt so genannt! Hüte deine Zunge, sonst reiß ich sie dir aus deinem frechen Mundwerk raus.«
»Das gleiche gilt für dich. Glaub nicht, dass du mit mir wie mit einem kleinen Gauner aus den dunklen Vierteln umspringen kannst!«
Ein roter Funke glomm in den schwarzen Augen auf und Duquesne beherrschte sich mit sichtlicher Anstrengung.
»Es hat keinen Sinn es abzustreiten«, begann er von neuem. »Ich habe mit deinem, hm ... Gefolgsmann gesprochen und er hat alles ausgeplaudert. Etwas wirre zwar, aber ich weiß, wie du auf die Spur des Toten gekommen bist – dass du ihn gestern Nacht verfolgt und gestellt hast, habe ich selbst miterlebt. Unglücklicherweise konnte ich nicht hören, wo der Brautschatz ist und wer ihn geraubt hat. Aber ich
Weitere Kostenlose Bücher