AvaNinian – Erstes Buch (German Edition)
man muss es zur Seite ziehen, dann öffnet sich die Tür, ist schwer, fällt sofort zu und zerquetscht alles, was man dazwischen legt, kann man nicht von innen öffnen. Wer das nicht weiß, ist drinnen gefangen. Das ist alles was ...«
Jermyn sah die Lüge.
»Los, weiter, da ist noch mehr!«
»Nein, nein ... du Drecksack Schwein Hurensohn ...«
Wie ein Kübel Unflat ergossen sich Beschimpfungen in Jermyns Geist und einen Moment würgte es ihn. Doch es stank nach Angst, nicht nach Wut. Der Kerl versuchte seine Gedanken zu verschleiern – eine einfache Art, Sperren aufzubauen. Er beherrschte auch die nächste Stufe, Bilder entstanden vor Jermyns innerem Auge.
Bilder, in blutiges Braun getaucht, düstere Höhlen, wo Vermummte widerwärtige Begierden stillten. Ein Mädchen mit aufgerissenem Mund; jammervolle Gestalten, nicht mehr erkennbar welchen Alters oder Geschlechts; Tiere, wild gemacht durch unnatürliche Substanzen ...
Die Ausdünstungen eines verderbten Gemüts woben sich um Jermyns Geist. Aber die verzweifelten Versuche steigerten nur seine Ungeduld. Grob stieß er das Bewusstsein des Mannes ins Dunkel. Die Bilder verblassten und er machte sich daran, die Kammern dieses Geistes zu durchwühlen. Es war keine angenehme Arbeit, aber zwischen sorgfältig gehegten Erinnerungen an begangene Grausamkeiten fand er, was er suchte.
Das Bild eines kleinen Raumes,verschwommen an den Rändern, aber in der Mitte deutlich genug. Ein weißhaariger Mann, der auf eine breite Lederschlaufe weist, die aus der Decke hängt. Ein dunkler Beutel liegt darin, eine weiße Hand nimmt ihn hoch, die Schlaufe, vom Gewicht befreit hebt sich und ein schwacher Ton ist zu hören. Der Mann legt den Beutel zurück, die Schlaufe senkt sich. Er wiederholt den Vorgang und der Ton erklingt erneut, schwach, aber unmissverständlich. Das nächste Bild zeigt den Augenachat, den Lohn für Goldnagels Mühe ...
Jermyn löste sich aus dem fremden Geist. Der Beutel musste die Juwelen enthalten und dieser Ton – Klänge machten schwächere Abdrücke im Geist als Bilder, ohne Zweifel war er in Wirklichkeit so laut, dass er das ganze Haus aufweckte. Aber damit musste er sich später beschäftigen.
Unsanft weckte er sein Opfer. Verwirrt, wie nach langem Schlaf, beantwortete der Mann ohne zu zögern die Fragen in seinem Kopf.
»Warum habt ihr den Schatz gestohlen?«
»Ich weiß nicht, ich hab nur getan, was mein Onkel mir aufgetragen hat. Er ist mein Patron, er beschützt mich und gibt mir zum Spielen, was ich will. Ich tue, was er sagt.«
»Und wer ist dein Onkel?«
Es war, wie LaPrixa gesagt hatte: Hier war kein gekapptes Ohr nötig gewesen, aber Jermyn wollte es von dem Mann selbst hören.
»Der Wohlgeborene und Ehrenwerte Fortunagra.«
Zufrieden zog er sich zurück; den Kopf des Bewusstlosen ließ er achtlos auf die Steine fallen.
»Der Wohlgeborene und Ehrenwerte Fortunagra – wie nett, wenn man Recht hat. Vielen Dank, mein Freund, mehr brauch ich nicht zu wissen.«
Er versetzte dem Reglosen einen letzten Hieb.
»Mir reicht das nicht, ich wüsste gerne wesentlich mehr – mein Freund.«
Jermyn fuhr auf, wie früher, wenn er auf Ganevs Dachboden im Schlaf die scharfen Zähne einer Ratte an der Ferse gespürt hatte.
Breitbeinig stand Duquesne über ihm, der Bastard des Patriarchen, Triumph und Verachtung in den eisigen Augen. Ein Trupp Bogenschützen in den rotblau gestreiften Wämsen und Pluderhosen der Stadtwache hatte sich im Halbkreis aufgestellt, ihre Pfeile zeigten auf ihn. Einige trugen Fackeln, zwei hielten einen niedergeschlagenen Wag zwischen sich.
Jermyn stand langsam auf, versuchte zu begreifen, was das Auftauchen Duquesnes bedeutete. Seine Hochstimmung wich kalter Ernüchterung. Er straffte sich unwillkürlich. Kampflos würde er seinen Sieg nicht an diesen aufgeblasenen Stadtwächter verlieren.
Seine Augen suchten Duquesnes Blick.
Du kannst dich nicht bewegen, deine Glieder sind schwer wie Blei! Vergiss alles, was du hier gesehen hast! Gebieterisch drang er auf den Geist des anderen ein, wollte sich seiner bemächtigen und unter seinen Willen beugen. Aber die eisblauen Augen erwiderten den schwarzen Blick, der Angriff stieß auf Widerstand – eine Sperre, so festgefügt, wie sie Jermyn außer im Haus der Weisen noch nie begegnet war.
Duquesne schüttelte den Kopf und obwohl Schweißperlen auf seiner Stirn standen, lächelte er. »Du bemühst dich vergeblich, gib auf.«
Jermyns sah zu den Bogenschützen. Die Sehnen
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