AvaNinian – Zweites Buch
denen sich Regen mit Jauche zu einer widerwärtig schillernden Brühe mischte.
An trockenen Stellen brannten kleine Feuer, um die sich jämmerliche, zerlumpte Gestalten scharten. Roter Feuerschein fiel aus der Werkstatt eines Kesselschmieds und spiegelte sich in den nassen Steinen des Vorhofs. Auch dort drängten sich Leute, Kunden, die lieber hier geduldig warteten, bis ihre Werkstücke fertig waren, als in ihren kalten Behausungen. In den meisten Mietshäusern gab es wegen der Brandgefahr keine Feuerstellen. Auf einem kleinen Platz wurde unter viel Geschrei eine hölzerne Plattform errichtet, während die Bewohner der umstehenden Häuser mit mürrischen Gesichtern die Fensteröffnungen der unteren Stockwerke mit Bretter vernagelten.
Jermyn blieb stehen.
»Schau, es ist nicht mehr lange bis zu den Wilden Nächten.«
Ninian sah zu den Arbeitern hinüber.
»Wilde Nächte? Verrammeln sie deshalb die Fenster?«
»Ja, sicher, manche mauern sie sogar zu und die Türen auch.«
» So wild sind diese Nächte?«
»Darauf kannst du dich verlassen. Feiert ihr sie nicht?«
»Ich weiß nicht, es gibt ein Frühlingsfest bei uns, aber ich habe noch nie erlebt, dass Fenster und Türen zugemauert werden!«
»Dann hast du was verpasst. Hier gerät alles außer Rand und Band, jeder tut was er will und man kann eine Menge Spaß haben. Mann, drei Jahre lang hab ich die Wilden Nächte verpasst«, seine Augen glitzerten über dem Mundschutz. »Und diesmal bist du auch dabei. Wir werden die Stadt auseinandernehmen!«
Ninian war sich nicht sicher, ob ihr diese Aussicht gefiel, aber als er ihr bedenkliches Gesicht sah, lachte er und legte ihr den Arm um die Schultern.
»In den Wilden Nächten herrschen wir, die Leute der dunklen Viertel. Die braven Bürger verkriechen sich in ihren Häusern. Und wenn sie herauskommen, tragen sie Masken oder lassen sich wilde Fratzen aufmalen, damit man sie nicht erkennt. Glaub mir, die treiben es schlimmer als wir alle zusammen!«
Er drückte sie beinahe wild an sich. Erst an der schmalen Treppe in der Ufermauer ließ er sie los, damit sie hinunterklettern konnten.
Kurz darauf saßen sie in Vitalongas Hinterzimmer. Im Kamin röhrte ein heftiges Feuer, es war fast unerträglich heiß in dem kleinen Raum. Jermyn hatte sich Jacke und Wams vom Leibe gerissen und saß im Hemd da. Ninian dagegen hatte Kissen auf den Boden geworfen und sich vor dem Kamin darauf zusammengerollt wie eine Katze.
Die rötliche Glut spielte über ihren weißen Nacken, das enge Mieder und den geschlitzten, flaschengrünen Rock. Männerkleidung trug sie nur noch zum Klettern und auf ihren nächtlichen Raubzügen. Kaye hatte ihr Kleider geschneidert, die jeder eleganten Dame zur Ehre gereicht hätten und ihr dennoch alle Beweglichkeit ließen. Sie hatte die Verbindung zu ihm nicht wieder abreißen lassen. Hin und wieder besuchte sie ihn - allein, denn sie fürchtete, Jermyn könnte sich über den Schneider mit seinen Neigungen und Albernheiten lustig machen. Kaye war entzückt, wenn sie kam, am liebsten hätte er ihr alles geschenkt und sie hatte Mühe, ihn zu bewegen, ihre Goldstücke anzunehmen.
Auf die weiten, faltenreichen Unterkleider der ehrbaren Damen verzichtete sie großzügig und ebenso großzügig übersah sie die entrüsteten und gierigen Blicke, die auf ihren Beinen in den schwarzen Beinlingen ruhten.
Auch Vitalonga betrachtete sie missbilligend.
» Sie wird sich den Tod holen. Halb nackt bei diesem ungesunden Wetter herumzulaufen!«
Er selbst trug trotz der Hitze im Zimmer mehrere schäbige Kaftane übereinander und zusätzlich einen ärmellosen Mantel aus mottenzerfressenem Pelz. Ein warmes Tuch hatte er sich um den Kopf gebunden - sie hatten sich das Lachen verbeißen müssen, als sie hereingekommen waren. Jermyn setzte das Tässchen ab, das er gerade geleert hatte.
»Vielleicht habt Ihr recht, Vitalonga, aber ich habe nichts dagegen.« In Gedanken setzte er hinzu: » Habt Ihr jemals eine schönere Frau gesehen?«
Vitalonga wiegte den Kopf und Ninian sah auf.
»Was habt ihr geredet, Jermyn?«
»Oh, nichts weiter, er meint, du würdest dich erkälten, weil du so leicht bekleidet bist.«
»Nicht, wenn ich vor diesem Feuer liegen bleibe!« Sie rekelte sich zufrieden.
Jermyn holte tief Luft und wandte den Blick ab.
»Was führt euch zu mir? Ihr wisst, ich freue mich immer, euch zu sehen, aber gibt es einen besonderen Grund?«
Jermyn lächelte schwach, als er das Misstrauen spürte. Vitalonga war kein
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