AvaNinian – Zweites Buch
verschwanden fast im Fett der Wangen und seine kurzen Ärmchen standen grotesk von seinem fassartigen Leib ab.
Er war mit schäbiger Pracht herausgeputzt, Spitzen und Federn, Brokat und Seide, aber alles zerrissen und zerschlissen; der Metallreif, der auf seinem kurzgeschorenen Schädel saß, war zu groß und hing halb über das rechte Auge, in der fetten Hand hielt er ein kleines Stäbchen und sein linker Fuß war dick umwickelt. Huldvoll drehte er den breiten Kopf und winkte seinen tobenden Untertanen zu. Neben ihm spreizte sich seine Königin, ein klapperdürres Weib in einem Kleid, das Einblicke gab, die niemand tun wollte. Eine ungeheure Perücke aus gebleichtem Flachs zierte ihr Haupt, sie klimperte mit den Augenlidern, hantierte geziert mit einem riesigen Fächer aus Wachstuch und warf Kusshände in die Menge.
Der Jubel schwoll an.
»He, Isabeau, Schätzken, wie lange brauchste denn neuerdings, um seinen Schwanz hochzubringen?«, tönte es aus der Menge und die Königin hieb mit ihrem Fächer nach dem Sprecher.
»Oh, pfui, du Schelm«, kreischte sie durchdringend, »nur zwei, drei Stündchen - wenn ich ihn finde ...«
»Oi, Cosmo, wie viele Bastarde von dir laufen rum?«, gellte es. Der König kratzte sich den Bauch.
»Schurke, red du mir nich schlecht über meine Wachleute«, dröhnte er, »wo se für mich doch sogar in die Pisse springen un sich das Fell gerben lassen!«
Brüllendes Gelächter folgte, ein Spaßvogel begann zu singen.
»Duquesne, der stolze Mann, der wollt ein Vogel werden ...«
»Jou, die passen so gut auf, dass die ganze Schatzkammer leer is!«
Der König richtete sich auf und bellte empört: »Lüge, das hab ich doch selbst genommen, für die Würfelchen ...«
Jermyn und Ninian wechselten einen Blick. Es war nicht leicht, etwas vor den Leuten auf der Straße zu verbergen.
Langsam rollte der Wagen vorbei, begleitet von derben Scherzen und Beleidigungen.
Plötzlich entstand Unruhe unter den Zuschauern. Ein Mann drängte sich nach vorne und warf sich den Ochsen in den Weg.
»Wo sind meine Schiffe, Patriarch?«, schluchzte er, »wo sind sie? Der Staat sollte sie schützen. Wo sind sie und mein Sohn, mein Sohn ...«
Er fiel vor dem Wagen auf die Knie und raufte sich die grauen Haare. Er war gut gekleidet, der schwarze Mantel aus gutem Tuch und pelzgefüttert, aber beschmutzt und zerknittert, als habe er ihn seit Tagen nicht abgelegt. Der Wagenführer zog mit aller Macht an den Zügeln, um die Ochsen aufzuhalten. Auf der Deichsel stehend, brüllte er die Tiere an und sie warfen unwillig die Köpfe hoch. Zwei Frauen stürzten aus der Menge hervor und bemühten sich verzweifelt, den Weinenden fortzuziehen, bis ein paar Männer sich erbarmten und ihnen halfen, ihn auf die Füße zu stellen. Das Herrscherpaar sah ungerührt zu.
»Haste den Armen gegeben in den Tagen deines Reichtums?«, rief der König mit harter, unverstellter Stimme. »Wer hoch steht, kann tief fallen, das Rad dreht sich, es hält nie an. Vorwärts!«
Die Peitsche knallte, die Ochsen zogen an. Auf dem Kutschbock neben dem Wagenführer saß eine junge Frau von eigenartiger, düsterer Schönheit. Sie zog ihren Umhang zurecht, ihre Hand lag stolz und beschützend auf ihrem gewölbten Leib.
Jermyn pfiff leise durch die Zähne.
»He, das ist die Tochter von der Alten, die uns gefüttert hat, in unserer ersten Nacht.« Ninian spürte seine Hand auf dem Nacken und nickte.
»Ja, und neben ihr steht ihr Mann, der wahre Herr der Bettler.«
Sie sah in das harte, gerötete Gesicht mit den hitzigen Augen. Jetzt setzte er sich und legte besitzergreifend die Hand auf das Knie der jungen Frau, während er mit der anderen nachlässig die Zügel hielt. Sie rückte dicht an ihn heran.
»Es hat gewirkt, sie hat erreicht, was sie wollte«, dachte Ninian, »der Zauber war stark in jener Nacht.«
Mit Geschrei und Geschepper verschwand der Zug des Bettlerkönigs in der Ferne und Jermyn seufzte:
»Diese Herrschaft wär mir die liebste. Schade, dass man sich mit Duquesne und seinesgleichen rumschlagen muss. Jetzt komm, ich hab Hunger, ich wette, die d’Este sind großzügig wie immer.«
»Aber ich will lieber zum Hafen, jetzt kommen die ersten Fischer rein und es gibt ganz frischen ...«
»Was? Den ganzen Weg zurück? Und ich will keinen rohen Fisch!«
Duquesne rührte sich nicht, als das Messer über seine Kehle glitt. Sein Nacken schmerzte und das Blut hämmerte in seinen Schläfen. Der kalte Stahl verharrte über der
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