AvaNinian – Zweites Buch
werden nicht opfern, bevor sie nicht gestraft wurde!«
»Überlassen wir sie dem Urteil der Göttin!«
Der Speer blitzte auf. Zwei Frauen packten Ninian an den Armen und stießen sie zu dem Steinsockel, auf dem die Hand der Göttin ruhte. Die Priesterin im roten Gewand machte eine heftige Bewegung, als wolle sie den dreien folgen, doch eine neue Feuerzunge fauchte aus dem Spalt und sie wich zurück.
Das Mieder des weißen Kleides glänzte im Flammenschein, als sei es mit Blutstropfen übersät.
Die Frauen nahmen Ninian in die Mitte und zwangen sie die Leiter hinauf.
Violetta grub ihre Nägel in die Handfläche. Warum wehrte sie sich nicht? Der Vater hatte von ihren Kräften gesprochen. Er hatte sie allein durch Dea laufen lassen. Etwas, das er seinen Töchtern niemals erlaubt hätte. Warum wehrte sie sich jetzt nicht?
Die Priesterinnen drückten sie auf den Handteller der Göttin. Sie mussten sich ducken, um sich nicht an den steinernen Fingern zu stoßen. Dann kletterten sie wieder herunter und blieben am Fuß der Leiter stehen.
Einen Augenblick verstummten die Rasseln, die Versammlung hielt den Atem an.
Zerbrechlich und verloren hockte Ninian reglos in der dunklen Hand, den Kopf gesenkt, in blutiges Licht getaucht.
Stille ... Violettas Herz schlug in harten Stößen, als wollte es ihre Brust sprengen.
Das Feuer brüllte auf, rollend brach sich der Trommelschlag an den Höhlenwänden und setzte sich zitternd in jeder Faser ihres Körpers fort. Die Rasseln setzten ein, prasselnd wie ein Hagelsturm. Margeau heulte auf und deutete in wildem Triumph auf die Hand der Göttin. Die anderen Frauen rissen die Münder auf, aber Violetta war taub für das Geschrei. Sie konnte nicht glauben, was sie sah.
Die steinernen Finger krümmten sich. Unerbittlich sanken sie tiefer und tiefer, um Fleisch und Knochen zu zerquetschen und das Leben aus dem unglücklichen Geschöpf zu pressen.
Violetta wimmerte. Die Augen, du musst die Augen schließen und die Ohren ... Sie kniff die Lider zu, dass es schmerzte, aber sie hatte nicht die Kraft, die Hände zu heben. Hilflos wartete sie auf das Knirschen, die qualvollen Schreie ...
Ninian schrie nicht. Stattdessen schwankten die schrillen Stimmen und das Rachegeheul versickerte in unruhigem Raunen. Violetta blinzelte vorsichtig.
Nur der Saum der Röcke, ein Blitzen von Kristallen war noch zu sehen, die Faust hatte sich fast vollständig geschlossen. Doch die Finger rührten sich nicht mehr.
Die Hohepriesterin schüttelte ihre Waffe und eine ihrer Gehilfinnen verschwand unauffällig zwischen den Beinen der Statue.
»Die Göttin zürnt, sie zögert die Todesqual hinaus, um die Frevlerin zu strafen. Preist die Wilde Frau!«
Der Speer zuckte, die Rasseln klirrten, von neuem stimmten die Frauen ihr Rachelied an.
Die Finger bewegten sich, aber nicht, um ihr blutiges Werk zu vollenden. Der Feuerschein im Schoss der Göttin verblasste und eine Stimme nach der anderen verstummte.
Steinerne Gelenke knirschten, steinerne Finger bewegten sich und Violettas Augen quollen aus den Höhlen.
Unversehrt, die schimmernden Röcke um sich gebreitet, saß das weiße Fräulein in der weit geöffneten Hand der Göttin.
Duquesne war in die Wachstube im Stadthaus zurückgekehrt. Die Nachricht, die halbe Stadt stünde in Flammen und der Pöbel sei im Anmarsch auf den Patriarchenpalast, hätte ihn mit Erleichterung erfüllt. Aber er traf nur einen müden Wachmann, zu erschöpft, um vor ihm strammzustehen.
»Wie steht’s in den Straßen?«
»Nich schlimmer als vorhin«, der Mann zuckte die Schultern, »sie würdn sich totschlagn, wenn sie nich schon zu besoffen wär’n. Die Masken sin allerdings fleißig dabei ...«
Er wischte sich den Schweiß von der Stirn und hinterließ einen breiten Rußstreifen.
Duquesne nickte abwesend. In den Stunden vor Morgengrauen in dieser letzten Wilden Nacht verlagerte sich das wüste Treiben in verschwiegene, tiefe Keller und in die Verborgenen Tempel. Dort beteten die Toren zu den dunklen Göttern um Erfüllung ihrer lächerlichen Wünsche.
Er kannte die wichtigsten Kultstätten, das Treiben der Gläubigen weckte Verachtung und Abscheu in ihm. Aber er ließ sie gewähren, solange sie ihre lästerlichen Praktiken nicht auf die Straße trugen und die Ordnung der Stadt störten. Seinetwegen konnten sie geradewegs in den Höllenrachen springen.
Die Masken beschafften ihnen die Opfer für ihre finsteren Riten und er hatte seine Männer angewiesen einzugreifen,
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