AvaNinian – Zweites Buch
Mädchen aneinander und Ninian hätte beinahe aufgeschrieen, als sich Finger krampfhaft in ihre Arme krallten. Die Wand schloss sich hinter den Priesterinnen, aber die Hüterin des Herdfeuers war verschwunden. An ihrer Stelle stand eine wildäugige Göttin, nackt bis auf zahllose Ketten, die Hals, Arme und Füße schmückten. Den birnenförmigen Leib unter den strotzenden Brüsten teilte ein klaffender Spalt. Ein brausender Strom ergoss sich daraus, aus dem sie schöpfte. Mit der anderen Hand schwang sie einen kurzen Speer.
»NEIIIIN, NICHT SIE, nicht Kalivaga«, schrill hallten die Schreie von den Wänden, das derbe Mädchen aus der Kutsche warf sich wie eine Rasende gegen die Tür, die in den Tempelraum zurückführte, »lasst mich gehn, ich hab ihr auch geopfert, lasst mich ...«
Zwei Priesterinnen packten sie mit hartem Griff und eine versetzte ihr einen heftigen Schlag gegen die Schläfe, so dass sie zwischen ihnen zusammensackte.
»Schweig, Dirne«, klang es streng unter der Kapuze hervor, »wenn du Sie kennst, weißt du, dass es eine Ehre ist - für euch alle. Zieht euch aus!«
Sie rissen dem reglosen Mädchen die Kleider vom Leib und warfen ihr einen schwarzen Umhang über. Die anderen Frauen kamen näher, um den gebieterischen Worten Nachdruck zu verleihen. Weinend gehorchten die Mädchen und jede musste sich in einen schwarzen Umhang hüllen.
Ninian rührte sich nicht. Eine Priesterin trat drohend auf sie zu und sie spürte das kalte Feuer in ihren Fingern prickeln. Wenn sie es wagten ...
»Warte«, befahl die Frau, die zuerst gesprochen hatte, »sie soll bleiben wie sie ist, sie wollen es so. Bewegt euch und hört auf zu greinen!«
Sie schüttelte eines der jüngeren Mädchen.
»Ihr zwei, seid ihr erkannt?«
»Sagt ja, sagt ja«, schrie die junge Frau, die wieder zu sich gekommen war. Für ihre Mühe erhielt sie einen Schlag, der ihre Lippe spaltete. Sie wimmerte und Blut tropfte über ihr Kinn. Ninian riss einen Streifen von ihrem Rock ab und das Mädchen presste ihn gegen den Mund.
»Gib acht«, rief die erste Priesterin unmutig, »sie wollen sie unbeschädigt. Nun redet, ihr zwei, habt ihr schon einen Mann gehabt?«
Sie hatten die Warnung nicht begriffen, wie unter einem Bann schüttelten sie die Köpfe.
»Gut, sie haben viele Bitten heute Nacht. Ihr werdet sie Kalivaga vor die Füße legen, wenn ihr vor Ihr steht.«
Sie holte aus ihrem Gewand ein kleines Salbengefäß und schmierte jedem der zitternden Mädchen eine übelriechende, braunrote Paste ins Gesicht. Zuletzt stülpten die Priesterinnen ihnen schwarze Hauben ohne Sehschlitze über und führten sie vor das steinerne Bildnis.
»Du, Frevlerin, komm her!«
Die Priesterin trat auf Ninian zu, um auch ihr die Haube überzustreifen, und als Ninian abwehrend den Kopf zurückbog, lachte sie barsch.
»Keine Angst, du wirst mehr als genug sehen, wenn die Zeit gekommen ist. Weigerst du dich, stechen wir einer von diesen die Augen aus!«
Ninian gab nach. Noch wollte sie nicht kämpfen. Stein knirschte und sie wurde unsanft vorwärts gezogen.
Lange führten die Priesterinnen sie durch enge Gänge, Ninian hörte die steifen Gewänder die Wände streifen. Vorsichtig tastete ihr Geist nach dem Gestein. Sie war tief unter der Erde, umgeben von Jahrhunderte altem Mauerwerk. Es ging in die ferne Vergangenheit, wie in LaPrixas Badehaus und in der Großen Schule. Eine Kultstätte der Alten Zeit, nein, älter als Dea, viel älter, aus einer Zeit, die nichts von Demaris wusste ...
Sie stiegen hinab. Dumpfes, eintöniges Sirren brachte die schwüle Luft zum Schwingen. Es erregte ihr Blut, pochte in ihren Schläfen.
»Wo sind wir?«, flüsterte sie. Eine heisere, tonlose Stimme antwortete.
»Im Tempel von Kalivaga, der Wilden Frau, du ahnungslose Gans, un wir wern hier nich mehr rauskommen! Was sie wohl mit dir wolln? Du musst sie sehr verärgert ham ...«
Ein heftiger Stoß schleuderte die Sprecherin gegen Ninian.
»Schweigt!«
Violetta zitterte. Ihre Blicke hingen an der riesenhaften Statue, die die Mulde überschattete.
Ihr Haupt schwebte im Dunkel der Höhlendecke, ab und zu loderte eine Flammenzunge aus dem klaffenden Spalt in ihrem Schoß und rotes Licht spielte über hochmütig geschlossene Augen, den grausam lächelnden Mund. Düster leuchtete Geschmeide aus rotem Gold an den üppigen, ölglänzenden Gliedern.
Die Göttin stand mit eingeknickter Hüfte. Die erhobene rechte Hand umklammerte drohend einen kurzen Speer, die linke ruhte
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