AvaNinian – Zweites Buch
auf einem steinernen Sockel, mit geöffneten Fingern, die Handfläche nach oben gekehrt. Eine hölzerne Leiter lehnte daran.
Auf den breiten, flachen Stufen der Mulde drängten sich Frauen in schwarzen Umhängen. Sie hatten die Kapuzen zurückgeworfen, im Fackelschein funkelten Juwelen in ihren Haaren, aber ihre Gesichter waren hinter Masken verborgen.
Eine ungeduldige Hand stieß Violetta vorwärts, die Stufen hinunter, zum Grund der Mulde. Andere Weißgekleidete standen schon dort, unmaskiert, alle mit dem gleichen, rotbraunen Mal auf der Stirn. Violetta wagte nicht sie anzusehen.
Zu beiden Seiten der Göttin schüttelten Priesterinnen wie rasend die eisernen Rasseln, das schrille Sirren quälte Violettas Ohren. Eine Bewegung ging durch die Versammelten, im Takt der Rasseln begannen sie zu schwanken, dann stieg ein Schrei aus ihrer Mitte empor.
»Oh, Kalivaga, Wilde Frau, oh Große Göttin!«
Andere nahmen den Ruf auf, ohrenbetäubend dröhnte er durch die Höhle. Violetta spürte einen spitzen Ellenbogen im Rücken.
»Grüße die Göttin, du Närrin!«
Erschrocken öffnete sie den Mund und krächzte verlegen:
»Äh...oh, Kaliww... wilde Frau, oh, gr...große Göttin ...«
Das Geschrei war leichter zu ertragen, wenn man mittat, und verzweifelt fiel sie in den rhythmischen Ruf ein.
Antwortend leckte eine Feuerzunge aus dem Schoß der Göttin. Violetta schloss geblendet die Augen und als sie wieder hinsah, standen zwei Priesterinnen in blutroten Gewändern vor den weiß gedeckten Tischen zu Füßen den Göttin.
Das Geschrei schwoll an. Violettas Kiefer schmerzte, Schweiß rann ihr über den Rücken.
Eine zweite Flamme loderte, die Priesterinnen heulten auf.
Zusammengedrängt wie eine Herde Schafe kam eine Gruppe schwarz vermummter Gestalten aus dem Dunkel hinter der Statue.
Die Frauen verstummten. Ein langgezogener, erwartungsvoller Seufzer ging durch ihre Reihen, der Violetta schaudern ließ.
Priesterinnen trieben die Widerstrebenden in die Mitte des Rundes. Mit einem Ruck wurden ihnen die Kapuzen von den Köpfen gerissen. Es waren Mädchen, sehr junge Mädchen. Zwei von ihnen trugen das gleiche Zeichen auf der Stirn wie Violetta. Ihre Gesichter waren Grimassen der Angst, weinend klammerten sie sich aneinander.
Nur eine von ihnen trug keinen Umhang. Violetta starrte sie an und vergaß für einen Moment ihr Entsetzen.
In der schwarzroten Düsternis schimmerte das Kleid wie ein Stück Mondlicht, Fackelschein glitzerte auf dem engen Mieder. Duftige Röcke fegten den lehmigen Boden, als sie ihren Platz einnahm. Sie hielt den Kopf hochmütig erhoben und ungläubig erkannte Violetta das weiße Fräulein vom Tanzplatz, die Königin der Wilden Nächte.
Auch hier handelte sie unbegreiflich tollkühn. Ungestüm stieß sie die Priesterin von sich, die sie mit harter Hand weiterzerren wollte. Die Frau taumelte gegen ein verhülltes Gestell, das neben den Tischen stand. Ihre rotgewandete Schwester, eine große, massige Person mit Armen, so dunkel wie die der Göttin, bewahrte es vor dem Sturz. Mit zornig erhobener Hand wandte sie sich um. Doch der Schlag fiel nicht. Wie erstarrt stand sie, dann sank ihr Arm herab und das Gestell schwankte ein zweites Mal, als sie sich hinter den Tisch zurückzog.
Das weiße Fräulein beachtete sie nicht. Es rührte sich nicht von der Seite des gezeichneten Mädchens.
Ein drittes Mal brach Feuer aus dem Schoß der Göttin. Es tauchte die Schar am Grund der Mulde in rötliches Licht und Violetta schnappte nach Luft.
»Da ist sie, die Dirne!«
»Ja, die Göttin ist gnädig, erkennst du sie? Das Liebchen des Rothaarigen. Jetzt kann ich es ihm heimzahlen. Er soll sehen, was die Wilde Frau von ihr übrig lässt!«
Die Fürstin und Margeau, sie mussten dicht hinter ihr stehen, die gehässigen Worte waren nicht zu überhören. Violetta schwindelte.
Das weiße Fräulein war Ninian! Ninian, die ihrem Vater lieb und wert war, und etwas Schreckliches erwartete sie. Sie und die anderen Mädchen. Die Frauen um sie herum schnurrten vor Gier.
Violetta wollte fort. Sie wollte nichts mit dieser Göttin zu tun haben. Wollte nicht zum intimen Zirkel der Fürstin gehören. Warum erwachte sie nicht schweißgebadet in ihrem Bett? Aber wenn dies ein Alptraum war, so gab es kein Erwachen.
Ein Funkenregen ergoss sich über die Versammelten, sie bemerkte kaum die glühenden Bisse. Elend vor Angst starrte sie nach vorn.
Zwischen den Beinen der Statue stand eine hochgewachsene Frau, nackt und mit
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