AvaNinian – Zweites Buch
schrien wütend zu ihm herauf. Er lachte ihnen ins Gesicht, stieß den Mittelfinger in die Luft und rutschte hinter Ninian her in die Dunkelheit.
»Der Hundsfott ...«
»Ne Leiter, holt ’ne Leiter!«
»Habt ihr geseh’n, wie die die Mauer hoch sind? Des geht nich mit rechten Dingn zu.«
»Vielleicht sind sie ja doch Zauberer ...«
»Mach dir nich ins Hemd, Alter, das sind Fassadenkletterer, der Hauptmann hat’s gesagt.«
»Was jetzt?«
Sie hatten sich ihrer Beute sicher gefühlt, als die Jagd in der Sackgasse endete. Aber vor ihren Augen hatte der eine Flüchtling dem anderen die verschränkten Hände hingehalten und ihn mit Schwung ein ganzes Stück die Mauer hinaufgehievt. Wie eine Spinne war er hinterhergeklettert und sein Gefährte hatte ihn zu sich gezerrt. Das Ganze war schneller gegangen, als die Wachmänner ihre Pfeile angelegt hatten. Es fachte ihre Wut zu neuer Stärke an, als sie die beiden Schurken hinter der Mauer verschwinden sahen, und einige schrien wieder nach Leitern.
»Narren!«
Plötzlich stand Duquesne unter ihnen und sie wichen vor seinem Gesicht zurück.
Er hatte nicht laut gesprochen, die eisige Verachtung in seiner Stimme wirkte besser als jedes Gebrüll.
Thybalt, sein Vizehauptmann, der während der wilden Jagd zu ihm gestoßen war, stand stramm. Er wusste, dass Duquesne nicht nachlassen würde, bis er seine Beute zur Strecke gebracht hatte. Und wehe dem, der ihn dabei behinderte.
»Lasst die Männer ausschwärmen. Diese Hinterhöfe haben keine direkten Ausgänge auf die Straßen, sie sind alle nur durch die Häuser zu erreichen. Besetzt alle Haus- und Hofeingänge. Und wenn ihr sie da nicht erwischt«, er lächelte dünn, »weiß ich, wo sie hin wollen, aber da steht ihnen eine Überraschung bevor, unseren beiden Gauklern.«
Sie landeten unsanft und fanden sich Rücken an Rücken in der stinkenden Dunkelheit. Das Geschrei der Wächter war verstummt, schwere Schritte entfernten sich eilig, einen Moment lang herrschte Stille. Dann rührte sich etwas in der gegenüberliegenden Hofecke, ein leises Scharren von stumpfen Krallen auf dem Pflaster ...
Sie lauschten mit angehaltenem Atem, Ninians Kopfhaut zog sich zusammen. Das nächste Geräusch versetzte ihr Herz in einen rasenden Trommelwirbel. Sie wich zurück, bis sie die Mauer kalt und unnachgiebig im Rücken spürte.
»Jermyn ...«, blindlings tastete sie nach seiner Hand.
Das Grollen kam aus einem breiten Brustkasten, tief und heiser.
»Das hat uns noch gefehlt«, knurrte Jermyn. »Verdammte Köter!«
Viele Jahre waren die Wachhunde in den Hinterhöfen seine erbitterten Feinde gewesen, Beschützer fremden Eigentums und Rivalen im Kampf um Essbares, und oft hatte er sie mehr gefürchtet als menschliche Widersacher. Wer zwischen ihre unbarmherzigen Kiefer geriet, durfte froh sein, wenn er nur ein Glied verlor. Ein Junge aus Ganevs Bande hatte die Nase und ein Auge eingebüßt. Er hatte überlebt und Ganev hatte ihn für gutes Geld an den Bettlerkönig verkauft.
»Hängt er an der Kette?«, flüsterte Jermyn.
Ninian antwortete nicht, klammerte sich an ihn wie eine Ertrinkende. Jermyn lauschte angestrengt, aber er hörte kein beruhigendes Klirren. Die Bestie lief frei herum.
Jermyn verfluchte die Dunkelheit, er schob sich an der Mauer entlang, Ninian mit sich ziehend, weg von dem furchterregenden Geräusch. Sie wimmerte. Krallen scharrten auf der festgestampften Erde und der Hund gab Laut, ein dröhnendes, blutdürstiges Bellen, das selbst Jermyn einen Schauder über den Rücken jagte.
Ninian aber schluchzte auf, sie presste seine Hand, dass er beinahe geschrien hätte. Über ihnen wurde ein Fensterladen aufgestoßen, ein blasser Lichtschein fiel in den Hof.
»Oi, wer da? Fass, du faule Töle, was andres gib’s heut nich! Kannste mich hörn, du Lump da unten? Die Tür is abgeschlossn, mach ma zurück, wo de reingekommen bis, wenn de kannst«, ein fettes Lachen folgte, dann hetzte die Stimme: »Na los, fass, mach ihn alle!«
Jermyn unterdrückte den Drang, den Mann an seinen Worten ersticken zu lassen. Es war jetzt hell genug, um die Mauer zum Nachbarhof zu erkennen, sie war nicht sehr hoch und leicht zu erklimmen. Aber sie mussten quer über den Hof laufen.
Der Hund, durch die Stimme seines Herrn rasend gemacht, hatte sich aus seinem Verschlag herausgewunden und setzte zum Sprung an, den geifernden Rachen mit den mörderischen Reißzähnen weit aufgerissen.
Ninian schrie, hoch und gellend, und Jermyn stieß
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