AvaNinian – Zweites Buch
Lebensgefahr und entkommt nur mit knapper Not dem Verderben. Bravo, bravo ...«, zur Bekräftigung seiner Worte stieß der Patriarch seinen Stab auf den spiegelnden Marmorboden.
Dem freundlichen, fast heiteren Klang seiner Stimme nach hätte es eine Aufzählung ruhmreicher Taten sein können, aber der erste Kammerherr und die anderen Höflinge zogen ängstlich die Köpfe ein. Sie hatten sich im Vorraum des fürstlichen Schlafgemachs eingefunden, als die Gerüchte von Einbruch und Aufruhr Gewissheit geworden waren.
Der alte Fürst hatte einen Pelzumhang über sein Nachtgewand geworfen, der Spitzenkragen stand am Hals offen und sie sahen, wie die Halsadern anschwollen und die rote Welle des Jähzorns in das feiste Gesicht stieg.
»DU HAST VERSAGT, DUQUESNE! VERSAGT, HÖRST DU! WENN DONOVAN GESTORBEN WÄRE, HÄTTE ICH DICH MIT DEM KOPF NACH UNTEN ÜBER DEN JAUCHEKÜBELN VON MEISTER CRESPIN AUFHÄNGEN LASSEN, BIS DIR DAS HIRN AUS DEN AUGEN GEQUOLLEN WÄRE! DU ... DU ... MIESER ...«
Die Stimme verließ ihn, mit dem Handrücken wischte er den Speichel ab, von dem ein nicht geringer Teil Duquesne getroffen hatte, der reglos vor ihm stand. Einen Augenblick lang erbebte der massige Leib, auf der violett angelaufenen Stirn schwollen die Adern. Beunruhigt griff der Leibarzt nach dem kleinen, scharfen Messer, um den Herrn der Stadt zur Ader zu lassen, sollte sich sein Blut zu sehr stauen.
Nach einer Weile hatte der Patriarch sich soweit gefasst, dass er wieder sprechen konnte.
»Dein wunderbarer Plan ist fehlgeschlagen, mein Wertester, fehlgeschlagen, hörst du? Weil du die Nase immer zu hoch trägst, hast du nicht auf deine Füße geschaut und bist auf die Schnauze gefallen! Wie konnte es zugehen, dass zwei, hörst du, ZWEI schäbige Diebe meine gesamte Palastwache außer Gefecht setzen und durch den Palast entkommen konnten, hä? Wenn es ihnen nun noch eingefallen wäre, mich in meinem Bett zu ermorden? Es wäre ein Kinderspiel gewesen, da du ja alle Wachen abgezogen und nur ein paar Greise zu meinem Schutz zurückgelassen hattest?«
»Hörst du ihn? Greise! Dabei war ich ein kleiner Bursche, kaum aus den Windeln, als er schon ein Dutzend solcher Bastarde gezeugt hatte!«
»Na, der hier kriegt’s jetzt kräftig ab. Bin froh, dass ich nich da drin stehe.«
Die Wachen vor den hohen Flügeltüren sahen sich vielsagend an. Sie gehörten zu den wenigen, die Duquesne nicht in die unterirdischen Gewölbe befohlen hatte. Nicht, dass sie sich um den Auftrag gerissen hätten, trotzdem hatte es sie geärgert, zum alten Eisen erklärt zu werden. Dann hatten sie gehört, was geschehen war, und während die jüngeren Männer lahmgeschlagen, in zerfetzten Uniformen in den Quartieren hockten, standen sie schmuck und stramm auf ihrem Posten.
»Die jungen Burschen heute haben ihre Sinne nicht mehr beisammen«, bemerkte der eine und versuchte gar nicht erst, die Schadenfreude aus seiner Stimme zu verbannen. Sein Kamerad nickte und da niemand in der Nähe war, lehnte er die Hellebarde an die Wand und zog den Gürtel über seinen stattlichen Bauch.
»Nee, denen steht jetzt der Sinn nach anderem als Drill - Hosen wie Kesselpauken, Ärmel wie Schweinekeulen, goldene Fingernägel und Stiefelschäfte, in denen man Wasser tragen könnte. Unter dem alten Beaufort hätte es das nicht gegeben ... «
Vom Gang näherten sich Schritte und er nahm eilig Haltung an.
»Wieso haben meine Gardisten sich gegenseitig angegriffen? Hattest du doch deine verdammten Stadtwachen eingeschleppt?«
Das Gesicht des alten Mannes rötete sich wieder bedrohlich, aber nun erwachte Duquesne aus seiner Erstarrung.
»Gedankenlenker«, seine Stimme versagte, er musste sich räuspern, bevor er weitersprach. »Einer der Diebe ist Gedankenlenker, er hat sie getäuscht. Keiner von meinen Männern war im Palast!«
Der Patriarch machte eine verächtliche Handbewegung.
»Ein Gaukler? Da muss er aber ein Meister sein, wenn er so viele Männer täuschen kann. Aber du - bist du nicht auch ein Gedankenmeister? Haben sie dich nicht in die Wüste geschickt, dass du was lernst? Hättest du ihn nicht hindern können? Ich frage mich, ob ich dich nicht am besten wieder in die Wüste schicke ...«
Duquesne starrte den alten Mann an. Sein sonst makelloses Aussehen hatte in dieser Nacht schwer gelitten: Das schwarze Gewand war an vielen Stellen zerrissen, eine Brandwunde verunstaltete seine linke Wange und unter dem rechten Auge klaffte ein tiefer Riss, wo er auf den Balken
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