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Ave Maria - Roman

Ave Maria - Roman

Titel: Ave Maria - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Blanvalet-Verlag <München>
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sein, besonders nicht auf jemanden, den ich geliebt hatte. Was tust du, Christine? Wer bist du?
    In meinem Kopf schwirrte alles, als die Verhandlung begann und Anne Billingsley mit ihrer gut geprobten, aalglatten Eröffnungserklärung anfing.
    Erst als ich den Ausdruck »geboren in Gefangenschaft« hörte, war ich abrupt wieder bei der Sache. Die Anwältin sprach über die Umstände von Klein Alex’ Geburt auf Jamaica, nachdem man Christine während unseres Urlaubs auf Bermuda entführt hatte. Das war der Anfang des Endes für uns gewesen.
    Allmählich sah ich, dass Billingsley tatsächlich die Giftschlange war, die Ben mir geschildert hatte. Ihr faltiges Gesicht und das kurz geschnittene silbrige Haar spotteten jeder gängigen Vorstellung eines sich produzierenden Advokaten. Sie sprach alle Schlüsselwörter hart, genau mit der richtigen Betonung aus.
    »Euer Ehren, wir kommen jetzt auf die vielen Gefahren, welchen Ms Johnsons Sohn und Ms Johnson selbst während einer kurzen, turbulenten Beziehung mit Mr Cross ausgesetzt waren. Mr Cross ist seit vielen Jahren in die extremsten grauenvollsten Mordfälle verwickelt. Und ebenso viele Jahre hat er alle in seiner Umgebung in Gefahr gebracht.«

    So ging es weiter und weiter, eine knallharte Behauptung nach der anderen.
    Ich schaute kurz in Christines Richtung, aber sie blickte stur geradeaus. Wollte sie das hier wirklich? Wie sollte es ausgehen? Ich konnte ihre nichts sagende Miene nicht deuten, ganz gleich, wie sehr ich mich bemühte.
    Als Ms Billingsley mit ihrer Einschätzung meines Charakters fertig war, hörte sie auf, hektisch hin und her zu laufen und setzte sich.
    Sofort erhob sich Ben, doch er blieb direkt neben mir stehen, während er seine Eröffnungserklärung abgab.
    »Euer Ehren, ich brauche zu diesem Zeitpunkt nicht viel Zeit des Gerichts zu beanspruchen. Sie haben die Akten und kennen die Schlüsselfaktoren dieses Falls. Sie wissen bereits, dass die ersten Samenkörner dieses Rechtsstreits schon an dem Tag gesät wurden, als Ms Johnson ihren neugeborenen Sohn verließ.
    »Sie wissen ferner, dass Doktor Cross Alex junior während dessen ersten anderthalb Lebensjahren mit dem liebevollsten Heim umgeben hat, das sich ein Kind nur wünschen kann. Und Sie wissen, dass das innigste, am längsten haltende Band, wie man es nennt, das ist, das wir mit unseren Geschwistern teilen. Diese erste Zeit verbrachte Klein Alex in Washington, D.C., mit der einzigen Familie, die er bis zum vorigen Jahr kannte.
    »Schließlich wissen wir alle, dass feste Strukturen und Kontinuität die Schlüsselfunktionen sind, welche bestimmen, was das Beste für ein Kind ist, das unter den unglücklichen Umständen aufwachsen muss, dass die Eltern sich getrennt haben. Eins steht doch fest, und ich sage das auch ganz deutlich und bin sicher, dass Sie mir beipflichten werden: Ein Heim mit einem Vater, einer Urgroßmutter, Bruder,
Schwester und zahlreichen Vettern und Tanten in der Nähe beschert einem Kind eine weitaus größere Unterstützung und sicherere Basis für das spätere Leben, als wenn es von einer Mutter erzogen wird, die dreitausend Meilen von der kleinen Familie entfernt lebt, die sie hat, und die schon bisher ihre Meinung über die Verpflichtung ihrem Kinde gegenüber zwei Mal geändert hat.
    Das musste gesagt werden. Allerdings möchte ich hier keineswegs Ms Johnson schlecht machen. Sie ist nach jeglichem Standard ein perfekter Elternteil - wenn sie einer sein will. Ich bin hier, um darzulegen, dass es schlichtweg dem gesunden Menschenverstand entspricht, dass der Sohn meines Mandanten - und jedes Kind - bei dem Elternteil besser aufgehoben ist, dessen Pflichtgefühl nie geschwankt hat und bei dem es auch kein Anzeichen gibt, dass er in der Zukunft seine Meinung ändern wird.«
    In den Besprechungen vor der Verhandlung hatten Ben und ich uns darauf geeinigt, alles so zivilisiert wie möglich zu halten. Ich wusste vorher, was er sagen würde, aber hier im Gerichtssaal und vor Christine klang es in meinen Ohren anders. Seine Worte schienen mir deprimierend feindselig zu klingen, ähnlich wie Anne Billingsley gegen mich in ihrer Erklärung vorgegangen war.
    Ich hatte einen Anflug von schlechtem Gewissen. Ganz gleich, welchen Schlamm Christines Anwältin schleudern wollte - am Ende des Tages wäre ich letztendlich für meine Handlungen verantwortlich, auch für die meines Anwalts. Das hatte Nana mir schon vor langer Zeit eingeimpft.
    Aber ein Punkt hatte sich nicht geändert.

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