Ave Maria - Roman
Ich war immer noch wild entschlossen, meinen jüngsten Sohn zurück nach Washington zu holen. Als ich jedoch Ben Abajians Erklärung hörte, hatte ich das Gefühl, dass es bei diesem Fall keinen
Gewinner geben würde. Es ging nur darum, wer weniger verlor.
Hoffentlich wäre am Ende nicht Klein Alex der Verlierer.
34
»Ms Johnson, können Sie uns mit Ihren eigenen Worten sagen, weshalb Sie heute hier sind?«
Ich fragte mich, ob ein anderer sah, wie nervös Christine im Zeugenstand war. Sie umklammerte eine Hand mit den Fingern der anderen, um unter keinen Umständen zu zittern und eine Schwäche zu zeigen. Mein Magen verkrampfte sich. Ich hasste es, sie so zu sehen, selbst hier und jetzt, unter Umständen, die sie selbst geschaffen hatte.
Aber als Christine auf Anne Billingsleys Fragen antwortete, klang ihre Stimme fest, und sie wirkte völlig unbeschwert.
»Es ist an der Zeit, dass mein Sohn in seinem Leben ein permanentes Heim mit Stabilität findet. Ich möchte ihm die Beständigkeit geben, die er haben sollte. Und vor allem möchte ich, dass er sicher ist.«
Billingley blieb auf ihrem Stuhl sitzen und täuschte - vielleicht war sie es auch - totale Zuversicht vor. »Könnten Sie uns bitte etwas über die Ereignisse sagen, die zu Ihrer Trennung von Mr Cross führten?«
Christine blickte kurz zu Boden, um sich zu sammeln. Ich konnte mir nicht vorstellen, dass sie jetzt Theater spielte. Einer der Gründe, weshalb ich mich in sie verliebt hatte, war ihre Integrität gewesen. Aber das war in unserem früheren Leben gewesen.
»Kurz nachdem ich schwanger geworden war, wurde ich entführt und zehn Monate lang als Geisel gefangen gehalten«, sagte sie und schaute wieder auf. »Die Leute, die mich
entführt hatten, wollten Alex ein Leid antun. Nachdem diese grauenvolle Zeit vorüber war, war es für mich unmöglich, zu einem normalen Leben mit ihm zurückzukehren. Ich wollte, vermochte es aber nicht.«
»Und nur zur Klarstellung: Mit Alex meinen Sie Mr Cross?«
Nicht Agent oder Doktor Cross, sondern Mister Cross. Die Anwältin ließ tatsächlich keine noch so kleine Spitze aus.
Selbst Christine zuckte zusammen, als sie sagte: »Ja, das ist richtig.«
»Danke, Christine. Und jetzt möchte ich, dass Sie ein Stück zurückgehen. Ihr Sohn wurde auf Jamaica geboren, während Sie als Geisel gefangen gehalten wurden. Ist das korrekt?«
»Ja.«
»Wurde Ihr Sohn auf Jamaica in einem Krankenhaus geboren, unter medizinischer Überwachung?«
»Nein. In einer kleinen Hütte im Wald, im Dschungel. Sie haben eine Art Hebamme gebracht, aber sie sprach kein Englisch, zumindest nicht mit mir, und es gab keinerlei pränatale Hilfe. Ich war extrem dankbar, dass Alex Junior gesund zur Welt kam und so geblieben ist. Im Prinzip haben wir all diese Monate in einer Gefängniszelle gelebt.«
Ms Billingsley stand auf, ging durch den Saal und reichte Christine ein Papiertaschentuch. »Ms Johnson, war diese Entführung das erste Mal, dass Ihre Beziehung zu Mr Cross Gewalt in Ihr Leben gebracht hat?«
»Einspruch!« Ben war sofort aufgesprungen.
»Ich werde es anders ausdrücken, Euer Ehren.« Billingsley lächelte Christine beruhigend an. »Gab es andere Vorfälle, bei denen Gewalt beteiligt war, vor oder nach der Geburt
Ihres Sohnes, bei denen Mr Cross’ Beruf Sie direkt betraf?«
»Es gab etliche«, antwortete Christine, ohne zu zögern.
»Das erste Mal, nachdem wir uns gerade kennen gelernt hatten. Damals wurde mein Mann von jemand angeschossen, nach dem er bei seinen Ermittlungen in einem grauenvollen Mordfall suchte. Und später, nachdem unser Sohn geboren war und er in Washington bei seinem Vater lebte, wurde Alex Junior meines Wissens zumindest ein Mal mitten in der Nacht aus Sicherheitsgründen aus seinem Haus herausgebracht. Alle Kinder wurden herausgebracht. Ein Serienmörder war hinter Alex her.«
Billingsley stand abwartend da. Schließlich holte sie einen Stoß Fotos aus einem großen gelben Umschlag.
»Euer Ehren, ich möchte diese Fotos als Beweisstücke einbringen. Sie zeigen deutlich das Haus von Mr Cross in der Nacht einer dieser Notfallevakuationen. Sie werden sehen, dass der Sohn meiner Mandantin von jemand, der kein Mitglied der Familie ist, mitten in einem offensichtlichen Durcheinander aus dem Haus herausgetragen wird.«
Am liebsten hätte ich meine Einwände gegen diese so genannten Beweisstücke herausgeschrien. Ich wusste ganz genau, dass mein bester Freund, John Sampson, nicht irgendein namenloser
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