Ave Maria - Roman
Polizist, Klein Alex damals herausgetragen hatte. Und Christine hatte einen Fotografen - einen Privatdetektiv! - vor meinem Haus postiert! Niemand war in Gefahr gewesen, weil wir schnell und präventiv gehandelt hatten. Allerdings sprachen die Fotos im Moment für sich selbst.
Danach wurde es noch schlimmer.
Anne Billingsley führte Christine durch eine Reihe von missverständlichen Ereignissen, die alle mit meinem Beruf
zu tun hatten. Dabei legte sie ihr buchstäblich die Worte in den Mund. Dieses Theater endete mit dem Urlaub in Disneyland, den die Anwältin als schrecklich gefährliches Minenfeld für Klein Alex schilderte, welchen ich »im Stich gelassen« hätte, um in Südkalifornien einen Psychopathen zu suchen, der meine Familie wieder einmal terrorisiert hätte.
35
Dann war ich an der Reihe.
Die Zeit, in der Ben mich im Zeugenstand befragte, war die schlimmste Folter, die ich je mitgemacht hatte, vor allem, weil es um alles ging. Er hatte mir eingeschärft, die Richterin nicht direkt anzusprechen, aber das fiel mir schwer. Die Zukunft meines kleinen Jungen lag in ihren Händen.
Richterin June Mayfield. Sie war wohl um die sechzig und hatte eine Frisur mit viel Haarspray, die eher in die 50er-Jahre Amerikas passte als ins neue Jahrtausend in Seattle. Selbst ihr Name klang für mich altmodisch. Als ich im Zeugenstand saß, fragte ich mich, ob Richterin Mayfield Kinder hatte. War sie geschieden? Hatte sie selbst Ähnliches wie das hier durchgemacht?
»Ich bin nicht hier, um mich über irgendjemand negativ zu äußern«, sagte ich langsam. Ben hatte mich soeben gefragt, ob ich Bedenken über die Tauglichkeit von Christine als Elternteil hegte. »Ich möchte nur darüber sprechen, was für Alex das Beste ist. Nichts anderes spielt eine Rolle.«
Bens Nicken verriet mir, dass das die richtige Antwort gewesen war - oder war das nur für die Richterin bestimmt?
»Ja, genauso ist es«, sagte er. »Würden Sie daher dem Gericht erklären, wie es kam, dass Alex Junior die ersten anderthalb Jahre seines Lebens bei Ihnen gelebt hat?«
Von meinem Sitz im Zeugenstand hatte ich direkten Augenkontakt mit Christine. Das war gut. Ich wollte nichts sagen, was ich ihr nicht hätte ins Gesicht sagen wollen.
Ich erklärte so ehrlich wie möglich, dass Christine sich nach den Ereignissen auf Jamaica nicht in der Lage gefühlt
hatte, mit mir zusammenzuleben oder ein Kind großzuziehen. Ich musste es nicht ausschmücken. Sie wollte schlichtweg nicht bleiben. Punktum. Sie hatte mir erklärt, sie sei »ungeeignet«, Alex zu erziehen. Dieses Wort hatte Christine verwendet, das würde ich nie vergessen. Wie könnte ich auch!
»Und wie viel Zeit lag Ihrer Meinung nach zwischen dem Tag, an dem Ms Johnson ihren Sohn böswillig verlassen -«
»Einspruch, Euer Ehren. Er legt seinem Mandanten Worte in den Mund.«
»Abgelehnt«, erklärte Richterin Mayfield.
Ich bemühte mich, ihrer Reaktion nicht zu viel Gewicht zuzumessen, aber es klang gut, dass sie den Einspruch abgelehnt hatte.
Ben fuhr mit seiner Befragung fort. »Wie viel Zeit ist Ihrer Meinung nach vergangen zwischen Ms Johnsons böswilligem Verlassen und dem nächsten Mal, bei dem sie ihren Sohn tatsächlich mit eigenen Augen sah?«
Darüber musste ich nicht nachdenken. »Sieben Monate«, antwortete ich. »Es waren sieben Monate.«
»Ja, sieben Monate, in denen sie ihren Sohn nicht gesehen hat. Wie fanden Sie das?«
»Ich war völlig überrascht, von Christine wieder zu hören. Ich hatte geglaubt, sie würde nicht zurückkommen. Das dachte Klein Alex auch.« Es entsprach der Wahrheit, aber es fiel mir schwer, diese laut im Gerichtssaal auszusprechen. »Meine ganze Familie war überrascht, sowohl über ihr Weggehen als auch über ihr plötzliches Wiederauftauchen.«
»Und wann haben Sie danach das nächste Mal von ihr gehört?«
»Als sie sagte, sie wolle, dass Klein Alex mit ihr in Seattle
lebt. Inzwischen hatte sie schon in Washington, D.C, einen Anwalt besorgt.«
»Wie viel Zeit war da vergangen?«, fragte Ben.
»Weitere sechs Monate.«
»Ach ja? Sie verlässt ihren Sohn, sieht ihn erst sieben Monate später wieder, geht wieder weg und kommt nach sechs Monaten zurück und will plötzlich Mutter sein? Ist das korrekt?«
Ich seufzte. »Ja, so war’s.«
»Dr. Cross, können Sie uns jetzt erklären, aus der Tiefe Ihres Herzens heraus, weshalb Sie das Sorgerecht für Ihren Sohn haben wollen?«
Die Worte strömten nur so aus mir heraus.
»Ich liebe ihn
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