Ave Maria - Roman
jemand beseitigen wollen, indem sie das Gesicht durchkreuzen. Mary Smith hatte auch mehrere Familienfotos im Büro oben im Haus zerstört.
Ich blickte hinauf und versuchte, mir vorzustellen, wo sich das Büro befand. Den Bauplan hatte ich gesehen.
Der logische Weg von hier nach dort führte durchs Wohnzimmer, dann die Treppe aus Kalkstein hinauf in die Eingangshalle.
Die Mörderin hatte das Haus vor dem Mordtag besucht. Wie hatte sich das abgespielt? Und wann? Und weshalb? Wie entwickelte sich Mary Smith weiter?
Als ich wieder durchs Haus ging, saß Michael Bell bei seinen drei kleinen Töchtern. Alle schauten sich ihren Film an. Sie blickten nicht mal auf, als ich vorbeiging, und ich wollte sie nicht stören. Plötzlich erinnerte ich mich an die Umarmung von Jannie und Damon gleich nach dem, was in Seattle mit Klein Alex geschehen war.
Der obere Korridor war eine Hängebrücke aus Holz und Glas, die das Haus in zwei Hälften teilte. Ich folgte den mutmaßlichen Spuren von Mary Smith bis zu einem abgeschlossenen Flügel, wo sich Martis Büro befand.
Dieser Raum war der einzige mit einer geschlossenen Tür.
Drinnen waren auffällige leere Stellen an den Wänden. Dort hatten wohl die Familienbilder gehangen. Ansonsten wirkte alles völlig intakt.
Die Mörderin wird tapferer, geht größere Risiken ein, aber die Besessenheit von Familien bleibt stark. Der Fokus der Mörderin ist scharf gestellt.
Meine Aufmerksamkeit wandte sich einem Ledersessel mit hoher Lehne vor einem Einundzwanzig-Zoll-Monitor zu. Das war der Arbeitsplatz des Opfers. Dort hatte wahrscheinlich Mary Smith gesessen und Arnold Griner bei der L.A. Times die E-Mail geschickt.
Vom Büro aus konnte man auch auf die Terrasse und den Pool unten hinausschauen. Mary Smith hätte Martis Leiche auf dem Wasser treiben sehen können, während sie tippte. Hatte sie Widerwillen empfunden? War sie in Wut geraten? Oder hatte sie nur tiefe Genugtuung empfunden, als sie hier gesessen und auf ihr Opfer hinuntergeschaut hatte?
Etwas klickte für mich. Hier die zerstörten Fotos. Der Einsatz im Café. Etwas, das Professor Papadakis gesagt hatte: »Ausflucht, Vermeidung, Verdrängung.« Der Gedanke, der
mir heute Morgen durch den Kopf gegangen war: Mary Smith sah nicht gern, was sie an den Tatorten sah, richtig?
Je länger es dauerte, desto mehr reflektierte es ein starkes Bild aus der Vergangenheit, das sie beunruhigte. Ein Teil von ihr wollte nicht sehen, was ihr immer deutlicher wurde. Ihre Reaktion war, es zu verdrängen. Mir wurde ganz übel bei dem Gedanken, dass sie wahrscheinlich die Kontrolle verlor.
Dann verbesserte ich mich: Der Killer verlor die Kontrolle.
46
An diesem Abend lag ich flach auf dem Rücken auf meinem Hotelbett. Meine Gedanken flogen in unterschiedliche Richtungen. Keiner war meiner Meinung nach etwas wert oder brachte mich weiter.
Mary Smith. Ihr pathologischer Befund. Widersprüche. Mögliches Motiv für die Morde. Bis jetzt nichts Brauchbares.
Jamilla. In der Beziehung lief auch nichts. Eine Lösung dieses Problems ist nicht in Sicht.
Meine Familie in Washington. Ruinierte ich sie?
Christine und Alex Junior. Das war das Traurigste.
Mir wurde bewusst, dass kein Teil meines Lebens in letzter Zeit die Aufmerksamkeit bekam, die er verdiente. Alles fiel mir zunehmend schwerer, wurde mühsamer. Ich hatte anderen Menschen geholfen, mit dieser Art Depression fertig zu werden, aber nie mir selbst. Ich vertrat auch die Meinung, dass eine Selbstanalyse niemandem etwas brachte.
Monnie Donnelley hatte Wort gehalten und mir Material über James Truscott geschickt. Nichts Besonderes. Er war ehrgeizig, konnte zuweilen skrupellos sein, aber ansonsten ein geachtetes Mitglied des vierten Standes, der Presse. Er schien keinerlei Verbindungen zu den Mary-Smith-Morden zu haben.
Ich schaute auf die Uhr und stieß einen Fluch aus. Dann rief ich zu Hause an und hoffte, Jannie und Damon noch zu erwischen, ehe sie ins Bett gingen.
»Hallo, Jannie Cross am Apparat.«
Unwillkürlich lächelte ich. »Ist dort das Geschäft für
Umarmung und Küsse? Ich möchte eine Bestellung aufgeben.«
»Hallo, Daddy. Ich habe gewusst, dass du anrufst.«
»Bin ich so berechenbar? Schon gut. Ich hoffe, ihr beide macht euch fürs Bett bereit. Bitte Damon, an den anderen Apparat zu gehen.«
»Ich bin schon dran, Dad. Ich habe mir gleich gedacht, dass du es bist. Du bist ziemlich berechenbar. Das ist echt gut.«
Ich plauderte kurz mit den Kindern. Damon versuchte,
Weitere Kostenlose Bücher