Ave Maria - Roman
verhalten? Warum hatte sie sich nie ein Handy gekauft? Nun, wahrscheinlich weil sie fast immer pleite war.
Als sie die Augen wieder öffnete, stand der im blauen Sweatshirt neben ihrer Scheibe. Seine Miene war bösartig, auf den Hals hatte er einen roten Drachen tätowiert.
Unwillkürlich schrie sie - nur ein kurzer Schrei, aber genug, um ihm zu zeigen, welche Angst sie hatte.
Dann wuchs ihre Panik weiter. Sie brauchte einen Moment, um sich bewusst zu machen, dass der Junge in Blau etwas sagte. Er hielt die Hände flach erhoben, als wollte er sagen: »Beruhige dich...«
Sie öffnete das Fenster einen Spalt. »W-was?«, fragte sie mit zitternder Stimme.
»Ich habe gefragt: ›Haben Sie sich verfahren?‹«, sagte er. »Das ist alles, Lady - Sie haben sich doch verfahren. Sie sehen - verloren aus.«
Alicia unterdrückte ein Schluchzen. »Ja, tut mir Leid.« Das war eine schlechte Angewohnheit. Ständig entschuldigte sie sich für alles. »Ich suche nur nach -«
»Ich weiß nämlich, dass Sie hier nicht wohnen«, sagte er. Seine Züge wurden hart. Die anderen lachten über seinen Scherz. »Ist das Ihr Wagen?«
Angst und Verwirrung brachten Alicia dazu, ganz unterwürfig zu sein. Das hasste sie. Ihr fiel nur die wahre Antwort ein. »Er gehört meinen Eltern.«
Der Bursche in Blau rieb sich die Bartstoppeln am Kinn, als würde er über ihre Antwort nachdenken. »Viele Leute suchen nach einem Auto, das genauso aussieht«, sagte er. »Lesen Sie keine Zeitungen? Oder was ist mit Fernsehen?«
»Ich will nur nach Westwood fahren. Zu einem Casting für eine Fernsehproduktion. Ich habe die falsche Ausfahrt vom Highway genommen -«
Er brach in schallendes Gelächter aus und drehte sich zu seinen Kumpanen um. Er bewegte sich langsam und locker. »Sie will nach Westwood und in einem Film mitspielen. Ein Film. Verdammt, genau wie ich gedacht habe. Ich weiß nämlich, dass Sie hier an niemand und nichts Interesse haben.«
»Genau, Mann«, sagte einer der anderen Burschen. »Sie bringt die Leute nur da um, wo die Reichen wohnen.«
»Damit hab ich kein Problem«, sagte der dritte. »Kill die Reichen, friss die Reichen - mir doch egal.«
»Was redet ihr denn?« Sie schaute jeden an und suchte verzweifelt nach irgendeinem Hinweis. Was sollte oder konnte sie nur sagen, um hier heil rauszukommen? Ihr wilder Blick fiel in den Rückspiegel. Könnte ich rückwärts hier rauskommen? Schnell? Ganz schnell? So mit Bleifuß aufs Gas?
Der Bursche neben ihr hob das Sweatshirt und zeigte, dass er in den Gurt der Jeans eine Pistole gesteckt hatte. »Nein, das wollen Sie nicht tun.«
Plötzlich wurde sich Alicia der schrecklichen Möglichkeit bewusst, dass sie ermordet werden könnte, noch ehe sie ihren Morgenkaffee getrunken hätte. »Bitte, ich... bitte, tut mir nicht weh«, stammelte sie.
Sie hörte die Hilflosigkeit in der eigenen Stimme. Es war, als höre sie jemand anderen, der jammerte. Mein Gott, sie war doch angeblich Schauspielerin.
Der Bursche in Blau nickte langsam, aber sie konnte nicht entschlüsseln, was er dachte. Dann trat er vom Auto zurück und bedeutete ihr mit einer Handbewegung loszufahren.
»Der Highway ist in dieser Richtung«, sagte er. Die anderen beiden traten ebenfalls beiseite.
Alicia hatte das Gefühl, vor Erleichterung ohnmächtig zu werden. Sie lächelte dem Burschen matt zu. »Danke. Es tut mir so Leid«, sagte sie wieder.
Ihre Hände am Lenkrad zitterten, aber wenigstens war sie in Sicherheit.
Der Geländewagen war nur ein paar Schritte gefahren, als mit ohrenbetäubendem Krachen die Windschutzscheibe zersplitterte. Ein Spinnennetz aus einer Million Glasstücke.
Gleich darauf schlug ein schweres Metallrohr durch die Seitenscheibe an der Fahrerseite.
Alicia war wie gelähmt. Arme und Beine versagten den Dienst. Sie konnte nicht einmal schreien.
Der Impuls, aufs Gaspedal zu treten, erreichte ihr Gehirn einen Moment zu spät - ungefähr eine Sekunde nachdem die Tür aufgerissen wurde und kräftige Hände sie auf die Straße zerrten. Alicia landete auf dem Rücken. Die Luft zischte aus ihrer Lunge.
»Wie blöd bist du eigentlich?«, hörte sie jemand sagen. Dann kam der Schmerz an der Seite des Kopfes. Sie sah das Rohr auf sich herabsausen. Es zielte direkt in die Mitte ihrer Stirn.
69
Alles im Fall Mary Smith hatte sich plötzlich und dramatisch verändert. Jeanne Galletta war raus. Man hatte ihr den Fall entzogen und sie versetzt.
Ich versuchte, ein gutes Wort für sie einzulegen, aber
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