Ave Maria - Roman
gemeint, aber er hing wie ein Vorwurf in der Luft. Fielding zog die Mundwinkel nach unten und musterte mich über den dicken Rand seiner Bifokalbrille scharf. »Das ist nicht mein erster Serienmordfall. Von mir aus können wir loslegen.«
Selbstbewusst holte er tief Luft. »Nun zu Ihrer Frage. Ich glaube, dass wir es hier mit Mary Smith zu tun haben, nicht mit einem Trittbrettfahrer. Ich frage mich, ob sie nicht vom
ersten Tag an Arnold Griner tot sehen wollte. Ich glaube, das wollte sie. Allerdings bleibt die Frage, weshalb und wie dieses Motiv zu den früheren Morden passt.«
Alles, was er sagte, klang vernünftig, besonders, dass Griner von Anfang an das Ziel gewesen sein könnte. Ich wandte mich an Page. »Was meinen Sie?«
Mir lag tatsächlich langsam etwas an seiner Meinung. Ich fragte mich, ob er merkte, dass ich ihm immer mehr zutraute.
»Griner und Washington waren gerade erst eingezogen«, sagte Page und blätterte in einem kleinen Notizbuch. »Vor drei Tagen, um es genau zu sagen. Ich weiß, dass Griner seine gesamten Daten wie Adresse, Telefon gewechselt hat und alles unregistriert ließ. Mary muss sich demnach schon Mühe gegeben haben, ihn aufzuspüren. Das passt doch genau zu einem Stalker, oder? Und obwohl Griner nicht ins Profil der Opfer passt, war er die ganze Zeit über in die Fälle von Mary Smith involviert. Sie hat mit ihm angefangen, und jetzt hört sie - vielleicht - mit ihm auf. Möglich, dass er eine Art Schlussvorstellung für sie bedeutet. Vielleicht ist ihre Geschichte zu Ende.«
»Das bezweifle ich«, meinte Fielding, ohne Page anzuschauen. »Hier ist zu viel Wut ausgedrückt. Zu viel Rage beim Mord an Griner. Haben Sie The Grudge gesehen? Nicht wichtig. Vergessen Sie, was ich gesagt habe.«
»Was ist mit dem blauen Geländewagen?«, fragte ich. »Irgendein Fortschritt damit?« Bis zum Nachmittag hatte das LAPD nichts Vielversprechendes herausgefunden, was mich etwas überraschte, wenn man bedachte, wie dringlich dieser Punkt war.
Fielding holte ein Taschentuch heraus, nahm die Brille ab und begann sie zu putzen, ehe er sprach. »Bis jetzt noch
nichts«, sagte er schließlich. »Aber da Sie den Punkt angesprochen haben, möchte ich etwas klarstellen. Ich bin nicht Detective Galletta. Ich bin ihr Boss, und ich werde mich mit Ihnen nicht bei jeder neuen Wendung beraten. Falls das FBI bei diesem Fall volle Jurisdiktion übernehmen will, sollten Ihre Leute das deutlich machen. So wie alles bisher hier gelaufen ist, wäre es mir sogar recht. Doch bis dahin erledigen Sie Ihren Job und versauen mir nicht meine Ermittlungen, wie Sie es bei Detective Galletta gemacht haben. Ich hoffe, das ist klar.«
Das war schlichtweg Polizistenloyalität. Ohne eine einzige Frage zu stellen, war er sicher, dass ich Jeanne den Fall versaut hatte. Ich hatte so etwas schon früher erlebt, konnte es sogar ein wenig nachempfinden. Aber jetzt durfte ich nicht schweigen.
»Ein kleiner Rat«, sagte ich zu ihm. »Sie sollten wissen, worüber Sie reden, ehe Sie mit Beschuldigungen um sich werfen. Damit machen Sie sich Ihre Arbeit nur schwerer.«
»Ich sehe nicht, wie das zu diesem Zeitpunkt möglich sein sollte«, sagte er knapp. »So, ich glaube, wir sind durch. Sollten Sie Fragen haben, wissen Sie ja, wo Sie mich erreichen, oder - zum Teufel - sollten Sie etwas haben, das uns weiterhilft.«
»Absolut.«
Ich hätte ihm eine knallen können, als er fortging. Vielleicht hätte das unsere erste Begegnung auf eine niedrigere Ebene versetzt.
»Was für ein prächtiger Bursche«, sagte Page. »Jede Menge Persönlichkeit, gesellschaftlicher Schliff - das gesamte Paket.«
»Ja, mir ist ganz warm und kuschelig.«
Statt das Thema zu vertiefen, wandte ich mich wieder der
Arbeit zu. Wenn die Kommunikationsleitungen zum LAPD noch angespannter waren, brauchten wir unsere eigene Analyse mehr als je zuvor. Page bat mich nicht darum, aber ich nahm ihn mit auf meine übliche Tour am Tatort. Wir arbeiteten in Spiralen von den Leichen nach außen, wie alle anderen auch, aber viel, sehr viel langsamer.
Als Erstes durchsuchten wir die Wohnung Zoll um Zoll. Dann arbeiteten wir uns zum Korridor vor, schließlich zur Vorder- und Hintertreppe und dann zum Gelände um das Gebäude.
Ich war neugierig, wie lang Page geduldig bliebe oder ob alle in seinem Alter zu sehr in Eile waren, um die Arbeit ordentlich zu machen. Page hielt sich wacker. Er hatte sich wirklich in den Fall vertieft.
Wir waren draußen, als wir von der
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