Ave Maria - Roman
einige ihrer Geheimnisse verraten - vielleicht aber auch nicht.
»Wir müssen nicht darüber sprechen, wenn Sie nicht wollen«, sagte ich.
Sie blinzelte und schien sich zu konzentrieren. Sie schaute mich an, dann sah sie wieder auf den Boden.
»Möchten Sie etwas? Haben Sie Durst?«, fragte ich. Ich wollte, dass sie sich in meiner Gesellschaft so wohl wie möglich fühlte, aber ich spürte auch das Bedürfnis, dieser Frau zu helfen. Sie sah schrecklich aus und klang beinahe geistig behindert.
Jetzt schaute sie auf. Ihre Augen suchten meine. »Könnte ich eine Tasse Kaffee haben? Wenn es keine großen Umstände macht.«
Der Kaffee kam. Mary hielt den Pappbecher zwischen den Händen und nippte beinahe elegant daran. Der Kaffee schien sie etwas zu beleben.
Immer wieder musterte sie mich verstohlen. Dann glättete sie gedankenverloren ihre Haare. »Danke.« Jetzt waren ihre Augen ein wenig heller. Ich sah wieder einen Hauch der freundlichen Frau von gestern.
»Mary, haben Sie keine Fragen zu dem, was hier vor sich geht? Ich bin sicher, dass Sie Fragen haben.«
Sofort fiel sie in sich zusammen. Sie hatte plötzlich Tränen in den Augen. Wortlos nickte sie.
»Was ist denn, Mary?«
Sie blickte in eine Ecke der Decke hinauf, wo eine Kamera uns überwachte. Ich wusste, dass mindestens ein halbes Dutzend Polizisten und psychiatrische Spezialisten keine drei Meter entfernt von uns gespannt zuschauten und zuhörten.
Mary schien das auch zu spüren. Als sie sprach, flüsterte sie.
»Sie wollen mir nichts über meine Kinder sagen.« Ihr Gesicht verzerrte sich, als sie gegen die Tränen kämpfte.
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»Ihre Kinder?«, fragte ich ein wenig verwirrt, aber ich wollte ihr nicht widersprechen.
»Wissen Sie, wo sie sind?« Ihre Stimme bebte, aber ihre Energie war ansatzweise wieder zu spüren.
»Nein, weiß ich nicht«, antwortete ich wahrheitsgemäß. »Ich kann mich erkundigen. Ich brauche aber mehr Informationen von Ihnen.«
»Fragen Sie. Ich werde Ihnen sagen, was Sie wissen müssen. Sie sind zu jung, um allein zu bleiben.«
»Wie viele Kinder haben Sie?«, fragte ich sie.
Diese Frage schien sie total zu überraschen. »Drei. Wissen Sie das denn nicht?«
Ich holte meinen Notizblock heraus. »Wie alt sind sie, Mary?«
»Brendan ist acht, Ashley fünf und Adam elf Monate.« Sie sprach stockend. Ich schrieb alles auf.
Elf Monate? Es war zwar möglich, dass sie vor einem Jahr entbunden hatte, aber ich bezweifelte das stark.
Ich ließ mir das Alter der Kinder nochmal bestätigen. »Acht, fünf und elf Monate?«
Mary nickte. »Das ist richtig.«
»Und wie alt sind Sie, Mary?«
Zum ersten Mal sah ich auf ihrem Gesicht Verärgerung. Sie ballte die Hände zu Fäusten, schloss die Augen und rang nach Fassung. Was hatte das zu bedeuten?
»Ich bin sechsundzwanzig, meine Güte. Welchen Unterschied macht das? Können wir jetzt wieder über meine Kinder reden?«
Sechsundzwanzig? Nie im Leben! Wow! Das war es. Die erste Öffnung.
Ich blickte auf meine Notizen. Dann beschloss ich, mit ihr einen kleinen Sprung zu wagen. »Also Brendan, Ashley und Adam leben mit Ihnen zusammen, ist das richtig?«
Wieder nickte sie. Wenn ich etwas Richtiges sagte, schien sie das enorm zu beruhigen. Erleichterung breitete sich auf ihrem Gesicht aus und schien durch den ganzen Körper zu fließen.
»Und wo waren sie gestern, als ich bei Ihnen war?«
Jetzt blickte sie mich wieder verwirrt an, und die Verärgerung kam ebenfalls zurück. »Sie wissen, dass sie da waren, Agent Cross. Sie waren doch bei mir. Warum stellen Sie sich dumm?«
Beim Sprechen wurde ihre Stimme höher. Sie atmete ganz flach. »Was habt ihr mit meinen Kindern gemacht? Wo sind sie jetzt? Ich muss sie sehen. Sofort!«
Die Tür öffnete sich. Ich hob abwehrend die Hand, ohne Mary dabei aus den Augen zu lassen. Es war augenscheinlich, dass ihr Puls jetzt schneller schlug, so empört, wie sie war.
Ich ging ein gut kalkuliertes Risiko ein.
»Mary«, sagte ich freundlich. »Gestern waren keine Kinder im Haus.«
Ihre Reaktion kam blitzschnell und war extrem.
Sie setzte sich kerzengerade auf und schrie mich an, dass ihre Halsmuskeln hervortraten. »Sagen Sie mir sofort, was Sie mit meinen Kindern gemacht haben! Antworten Sie mir! Wo sind meine Kinder? Wo sind meine Kinder?«
Auf dem Fußboden hinter mir wurden Schritte laut. Ich stand auf, um sie als Erster zu erreichen.
Jetzt tobte und schlug sie wild um sich, dabei schrie sie immer wieder:
»Sagen Sie mir, wo meine
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