Avi Avraham ermittelt 01 - Vermisst
Briefe vernichtet haben, haben wir ein Problem, denn dann wissen sie, dass wir ihre Version anzweifeln, und werden schön vorsichtig sein«, sagte er. »Vielleicht sollten wir die Eltern einfach verhaften und für achtundvierzig Stunden in Gewahrsam nehmen?«
Avraham Avraham wollte protestieren, spürte jedoch, dass er kein Recht hatte, dazu etwas zu sagen.
Ilana war unschlüssig. »Dafür ist es noch zu früh«, meinte sie. »Ich kann nicht die Eltern eines vermissten Jungen einfach so verhaften. Selbst wenn sie die Briefe bekommen haben, wofür wir keinerlei Beweise haben, abgesehen von der Aussage des Lehrers. Und der hat die Polizei immerhin schon einmal mit Falschinformationen versorgt. Ich weiß auch nicht, warum sie wegen der Briefe nicht angerufen haben, vielleicht war es pure Dummheit, mehr nicht.«
Ihre Worte weckten eine Hoffnung in Avraham. »Vielleicht haben sie sie auch gar nicht bekommen? Es kann doch sein, dass jemand die Briefe aus ihrem Kasten genommen hat, oder?«
Er bekam keine Antwort. Auf Schärfsteins Schreibtisch stand ein gerahmtes Foto von seiner Frau und seinen beiden kleinen Kindern. Daneben lagen Seev Avnis Briefe, geschrieben mit schwarzem Kugelschreiber.
»Ich schlage vor, dass wir noch einmal über eine Abhöraktion nachdenken«, sagte Schärfstein. »Wir haben jetzt genügend Beweise, um vom Gericht grünes Licht zu bekommen.«
»Was bringt uns das?«, fragte Ilana.
»Man kann nie wissen«, erwiderte Schärfstein. »Wenn sie die Briefe nicht gemeldet haben, ist es möglich, dass sie noch mehr verheimlichen.«
Ilana sah Avraham an. Erwartete sie, dass er etwas sagte? Dann entschuldigte sie sich und verließ den Raum. Die beiden Männer blieben allein zurück. Zunächst schwieg Schärfstein, obgleich ihm anzumerken war, dass er gerne etwas sagen würde. Endlich fragte er: »Meinst du, er ist vollkommen durchgeknallt?«
Avraham Avraham erwiderte: »Ich komme nicht dahinter. Vor allem begreife ich nicht, warum er die Briefe geschrieben hat, noch dazu in Ofers Namen, und erst recht nicht, warum er hergekommen ist, um mir davon zu erzählen.«
Schärfstein konnte einfach nicht anders: »Kann es sein, dass er sich auch in dich verliebt hat?«
Avraham suchte das Weite, um erneut eine Zigarette zu rauchen.
Ilana kam nach ihm zurück ins Zimmer und hatte ihre Entschlossenheit zurückgewonnen: »Gut, Eyal, ich habe mich entschieden. Wir beide fahren zum Bezirksgericht, wo ich den Abhörantrag einreichen muss. Außerdem werden wir einen Haftbefehl für die Eltern beantragen, ihn aber noch nicht einsetzen. Erst einmal schauen wir, was noch bei der Vernehmung des Lehrers herauskommt. Du redest weiter mit ihm, Avi. Frag ihn, an welchen Tagen genau er die Briefe in den Kasten gesteckt hat und ob er gesehen hat, wie der Vater oder die Mutter sie herausgenommen haben. Und schick Maalul los, er soll einen Blick in den Briefkasten werfen.«
Plötzlich fiel ihm ein, dass Rafael und Hannah Sharabi zu Mittag auf dem Revier erscheinen sollten.
»Sag ihnen ab«, bestimmte Ilana, »ich will sie jetzt nicht hier haben. Wir müssen ihre Vernehmung vorbereiten, und du verhörst zunächst den Lehrer weiter.«
»Aber was sollen wir mit ihm machen?«, fragte er. »Sollen wir ihn festsetzen?«
Ilana schaute erneut zu Schärfstein.
»Meiner Meinung nach, nein. Noch nicht«, sagte Schärfstein. »Er ist auf eigene Veranlassung hergekommen, und solange er nicht gehen möchte, sollten wir ihn nicht festnehmen. Untersuchungshaft bedeutet Rechtsanwalt. Und das ganze Haus würde sofort davon erfahren. Sicher auch die Eltern. Das wäre nicht gerade zweckdienlich, wenn die Sharabis wüssten, dass er verhaftet ist, oder?«
Im Moment sicher nicht.
Seev Avni wartete noch immer in seinem Zimmer.
Das Gespräch mit Rafael und Hannah Sharabi war der schwerste Moment an jenem Tag.
Bei ihnen zu Hause hob niemand ab. Schließlich erreichte er Rafael Sharabi auf seinem Mobiltelefon und sagte irgendetwas von einer Besprechung, die sich in die Länge zöge. Er bat sie, heute nicht aufs Revier zu kommen, und versprach, er würde sich mit ihnen in Verbindung setzen und einen neuen Termin vereinbaren.
Die Stimme des Vaters klang ganz ruhig, als er auf Avrahams Frage antwortete: »Nein, wir haben nichts Neues gehört. Haben Sie schon die Untersuchungsergebnisse von Ofers Tasche?«
Avraham musste an sich halten, um nicht zu explodieren und damit die Ermittlungen endgültig an die Wand zu fahren. Am liebsten hätte er
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