Avi Avraham ermittelt 01 - Vermisst
gebrüllt: Wie konnten Sie die Briefe unterschlagen? Und warum, verdammt noch mal, haben Sie das getan? Wovor haben Sie Angst? Warum bringen Sie sich grundlos in Schwierigkeiten? Und wie konnten Sie mir Briefe vorenthalten, die in Ofers Namen geschrieben und in Ihren Briefkasten gesteckt worden sind, auch wenn Sie denken, dass sie in Wahrheit gar nicht von ihm sind?
Aber stattdessen sagte er: »Die Ergebnisse sind noch nicht da. Ich werde Sie informieren, sobald sie eintreffen, was sicher erst morgen der Fall sein wird.«
Er brachte Seev Avni in einen leeren Verhörraum, um sein Büro für sich zu haben, und bat, man möge dem Mann ein Mittagessen bringen. Er selbst aß allein und wartete darauf, dass Schärfstein und Ilana zurückkämen, als könnte er in ihrer Abwesenheit die Vernehmung nicht fortsetzen. Ein einziges Mal betrat er den Verhörraum und saß Avni eine Minute oder zwei schweigend gegenüber.
Avni sprudelte gleich los: »Ich würde Ihnen sehr gern erzählen, warum ich diese Briefe in Ofers Namen geschrieben habe. Wie die Idee entstanden ist und warum ich nicht gedacht habe, dass es so ein schreckliches Vergehen ist. Wären Sie bereit, es sich anzuhören?«
Avraham Avraham verließ den Raum, weil er Avnis Stimme nicht länger ertragen konnte, und vielleicht auch, um dessen Nerven noch weiter zu strapazieren. Noch immer glaubte er, der Lehrer würde einknicken und zugeben, die Briefe niemals in den Kasten gesteckt zu haben.
Am frühen Nachmittag waren Schärfstein und Ilana zurück vom Bezirksgericht, wo sie ohne weiteres die Genehmigung für eine verdeckte Abhörmaßnahme und den Haftbefehl erhalten hatten. Die Idee war offenbar während der Fahrt zum Gericht oder auf dem Rückweg geboren worden, und auch am nächsten Tag, als sie jeder für sich in ihren Büros auf dem Revier saßen und warteten, wusste Avraham Avraham noch immer nicht, von wem sie stammte. Ilana war clever genug, Schärfstein den Vortritt zu lassen, um ihm den Einfall zu präsentieren.
»Die Idee ist, Avni ohne Untersuchungshaft zu zermürben. Ihn so lange wie möglich hierzubehalten, vielleicht sogar die Nacht über. Und ihn zu bearbeiten. Er scheint mir keine besonders harte Nuss zu sein. Wenn du möchtest, lösen wir uns ab. Du nimmst ihn dir jetzt vor, und ich bleibe heute Nacht bei ihm. Und dann lassen wir ihn immer wieder allein im Verhörraum austrocknen. Außerdem stellen wir uns gelegentlich draußen vor die Tür und sagen etwas in der Art: ›Ich bin sicher, er ist es, kommt, lasst ihn uns sofort verhaften.‹ Wir wollen ihn in Panik versetzen. Und wenn er weichgekocht ist, deuten wir ihm an, dass er sich selbst und uns helfen kann, falls er mit uns kooperiert.«
Avraham Avraham konnte Schärfstein nicht ganz folgen. »Kooperiert – in welcher Form?«
»Wir signalisieren ihm, wir seien bereit, sein Geständnis zu vergessen, ihm die Briefe zurückzugeben und über alles hinwegzusehen, was er getan hat, mangels öffentlichen Interesses, gesetzt den Fall, er ruft Ofers Eltern an und sagt ihnen, er habe die Briefe geschrieben und er wisse, wo sich Ofer befindet.«
Avraham war fassungslos. Ungläubig starrte er Ilana an.
»Was bringt uns das?«, fragte er.
»Das Gespräch wird aufgezeichnet«, erklärte Schärfstein. »Und wenn die Sharabis uns nicht direkt danach davon in Kenntnis setzen, dass ein anonymer Anrufer ihnen gegenüber behauptet hat, er wisse, wo sich Ofer befindet, brauchen wir nicht zweimal zu überlegen, ob wir sie festnehmen.«
»Die Frage ist nur, wie wir das Avni behutsam beibringen«, sagte Ilana.
Schärfstein lächelte und erwiderte: »Wir finden schon einen Weg. Ich sage dir: Nach einer Nacht auf dem Revier, ohne seine Familie, wird er es mit der Angst bekommen, dass wir ihn verhaften und er seine Frau und seinen Jungen wer weiß wie lange nicht wiedersehen wird. Wenn wir ihm dann anbieten, für eine Gegenleistung nach Hause gehen zu können, wird er alles tun, was wir von ihm verlangen. Außerdem hat er doch selbst gesagt, er wolle bei den Ermittlungen helfen, oder? Wir geben ihm die Gelegenheit dazu.«
Avraham Avraham erinnerte sich an die Panik, die er in Avnis Augen hatte sehen können, als er während der Vernehmung auf seine Frau und seinen Sohn zu sprechen gekommen war. Würde er wirklich zu allem bereit sein? Die meisten Menschen würden sich jedenfalls exakt so verhalten, wie Schärfstein annahm.
»Ist das überhaupt legal?«, fragte er.
»Warum nicht?«, gab Schärfstein zurück.
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