Avi Avraham ermittelt 01 - Vermisst
gemacht? Schildern Sie es mir. Was haben Sie als Erstes getan? Wohin sind Sie gegangen?«
»Ich habe an die Badezimmertür geklopft und Rafael gefragt, wie er sich fühlt.«
»Und dann? Blieb er im Bad? Haben Sie selbst Ofer gefunden?«
»Nein, Rafael ist rausgekommen. Er hatte sich übergeben.«
Die Badezimmertür ging auf, und sie sah ihren Mann. Hatte sie ihm gleich angesehen, dass etwas passiert war? Aber so war es ja nicht gewesen. Schließlich war sie die ganze Zeit in der Wohnung, gemeinsam mit ihrem Mann. Davon war Avraham Avraham überzeugt.
Beide schwiegen sie.
Noch hätte er die Vernehmung unterbrechen können, hätten den Raum verlassen und Ilana bitten können, ihn abzulösen.
»Wie haben Sie Ofer gefunden?«, fragte er.
»Rafael hat gesagt, Ofer sei etwas zugestoßen. Er hat mich in das Zimmer der Jungen geführt«, erklärte sie.
»Also behaupten Sie, dass Ofer in seinem Zimmer war?«
»Ja. Er lag auf dem Fußboden.«
»Hat er geblutet?«
»Nein. Hat er nicht. Er hat auf dem Fußboden gelegen, aber da war gar kein Blut.«
Damit hätte er sich begnügen können, das hatte ihm schließlich Ilana selbst zugebilligt. Zwar gab es noch Unstimmigkeiten zwischen den beiden Versionen hinsichtlich des Zimmers, in dem Ofer gelegen hatte, doch das war in dieser Phase der Ermittlungen ohne Bedeutung. Aber Avraham konnte die Wut nicht mehr kontrollieren, die sich in ihm angestaut hatte durch die Lügen, die ihm Hannah Sharabi drei Wochen lang aufgetischt hatte.
Erst, als er spätnachts versuchte, den Abschlussbericht über seine Ermittlungen zu verfassen, meinte er zu verstehen, warum er so darauf beharrt hatte, dass ihm Hannah Sharabi alles erzählte. Und weshalb sie sich geweigert hatte, obwohl ihnen alle Fakten schließlich bekannt waren.
»Dem Geständnis Ihres Mannes zufolge war Ofer nicht in seinem Zimmer«, insistierte er.
»So war es aber«, erklärte sie stur.
»Ihr Mann hat ausgesagt, er sei in Danits Zimmer gewesen.«
Das war das einzige Zimmer in der Wohnung, das er nicht betreten hatte, das zu betreten ihm nicht in den Sinn gekommen war. Wann immer er sich in der Wohnung aufgehalten hatte, war die Tür des Zimmers verschlossen gewesen. Deshalb konnte er die Tür zu diesem Raum auch in seiner Phantasie nicht öffnen.
»Als ich gekommen bin, war er in seinem Zimmer.« In ihrer Stimme lag nicht das geringste Zögern. Nur Hass.
»Hannah, wissen Sie, was Ofer in Danits Zimmer gemacht hat?«
»Er war nicht dort«, antwortete sie leise. »Ich habe Ihnen doch gesagt, er war in seinem Zimmer.«
»Ihr Mann hat etwas anderes ausgesagt.«
Sie antwortete nicht. Ihre Augen konnte er nicht sehen, weil sie zu Boden blickte.
»War es das erste Mal, dass Sie Ofer in Danits Zimmer angetroffen haben?«
Sie würde nicht antworten, auch wenn er ihr diese Frage tausendmal stellte. Er musste damit aufhören.
»Hannah, ich frage Sie, ob dies das erste Mal war, dass Sie Ofer dort vorgefunden haben?«
Sie hörte ihm schon nicht mehr zu.
In den Fingerspitzen spürte er, dass er Gefahr lief, über sie herzufallen, wie schon zuvor. »Begreifen Sie nicht, dass ich Ihnen dieselbe Frage wieder und wieder und immer wieder stellen werde, bis Sie antworten?«, brüllte er. »Sagen Sie mir, wie lange das schon so lief. Wie oft hat sich Ofer an Danit vergangen? Wann hat er damit angefangen, sie zu missbrauchen?«
Er wollte es nicht wissen. Warum ließ er sie dann nicht einfach in Ruhe?
»Verstehen Sie nicht, dass Sie mit mir reden müssen, um Ihren Kindern zu helfen? Sie haben eine Tochter, um die man sich kümmern muss!«
Jetzt hörte sie, was er sagte, und wandte ihm ihr Gesicht zu. Voller Verachtung. »Sagen Sie mir nicht, wie ich mich um meine Kinder kümmern soll. Ich werde meinen Kindern nichts antun, egal, wer das von mir verlangt«, zischte sie.
»Ihr Mann hat uns erzählt, er sei nach Hause gekommen und habe Ofer bei Danit gefunden. Ofer hat ihn nicht kommen gehört. Sie wissen, was er im Zimmer seiner Schwester gemacht hat, nicht wahr?«
Auch danach, in der Nacht, als er sich in seinem Büro die Videoaufzeichnung des Verhörs anschaute, um den Abschlussbericht zu verfassen, konnte er von seinem Gesicht nicht ablesen, was er von ihr hatte hören wollen.
»Sagen Sie mir nicht, wie ich mich um meine Kinder kümmern soll. Ich werde nicht zulassen, dass irgendjemand ihnen etwas antut«, wiederholte sie.
Das Videoband war fast zu Ende. Die letzten Wortwechsel klangen gehetzt.
»Was hat Ihr Mann Ihnen
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