Avi Avraham ermittelt 01 - Vermisst
Aufgaben.«
Am Sonntagabend, unmittelbar nachdem auf Kanal 10 ein kurzer Bericht über die Tragödie in Cholon gesendet worden war, klingelte Avraham Avrahams Telefon. Noch ehe er den Hörer aufgenommen hatte, wusste er, wer am Apparat war.
Seine Mutter klang ganz aufgebracht. »Siehst du Nachrichten?«, fragte sie.
»Nein, warum?«, erwiderte er und stellte den Fernseher leiser.
»Du warst doch an der Ermittlung in dem Fall des Jungen beteiligt, der von seinem Vater ermordet worden ist, oder? Ich hab gerade im Fernsehen was darüber gesehen, aber sie haben dich nicht mal erwähnt. Ich bin mir sicher, dass ich diesen Vater schon mal gesehen hab. Vielleicht auf meiner Walkingstrecke.«
Avraham Avraham bestätigte, dass er mit an dem Fall gearbeitet hatte. Das konnte er schlecht leugnen, da seine Eltern von seinem kurzen Auftritt im Fernsehen erfahren hatten, als Ofer noch als vermisst gegolten hatte.
»Ich sage dir, ich hab von Anfang an gespürt, dass der Vater ihm was angetan hat. Ich weiß nicht, warum, aber ich hatte so ein Gefühl. Hast du den Vater verhört?«
Nein, habe er nicht, antwortete er.
»Und diesen Schärfstein, kennst du den? Sie haben ihn in dem Bericht gezeigt. Arbeitest du mit ihm zusammen? Ein sehr beeindruckender junger Mann.«
»Ja, wirklich beeindruckend«, bestätigte Avraham Avraham.
»Weißt du, wie alt er ist? Ist er verheiratet?«, fragte seine Mutter.
Sein Treffen mit Ilana war für Montagmorgen angesetzt worden. Er kam zu spät, und sie begrüßte ihn freundlich.
»Ich habe schon auf dich gewartet«, sagte sie. Sie war nicht in Uniform, sondern trug ein violettes Kleid, das ihr nicht stand, und das er zuvor noch nie an ihr gesehen hatte.
Am Ende jeder großen Ermittlung trafen sie sich zu einem bilanzierenden Gespräch, in aller Regel in ihrem Büro, seltener zum Mittag- oder Abendessen in einem Restaurant. Sie stießen auf die Lösung des Falls an, analysierten die einzelnen Ermittlungsschritte und versuchten, Fehler zu finden, um sie bei künftigen Ermittlungen zu vermeiden. Beiden war klar, dass es diesmal nicht so sein würde. Zu viele Fehler waren gemacht worden, und es gab keinerlei Grund zum Feiern.
Warum ahnte er, dass ihre Beziehung nie wieder so werden würde, wie sie es vor dieser Ermittlung gewesen war? Immerhin hatte Ilana ihm zur Seite gestanden, hatte ihn vielleicht sogar davon abgehalten, noch folgenschwerere Fehler zu begehen, als sie ihm ohnehin schon unterlaufen waren. Auch seine Entscheidung, an der Rekonstruktion des Tathergangs nicht mitzuwirken, hatte sie gutgeheißen. Er wollte diese Wohnung nicht noch einmal betreten müssen. Innerlich weigerte er sich, die Tür zu Danits Zimmer, die die Mutter vor ihm verschlossen gehalten hatte, zu öffnen. Daher hatte Schärfstein, um möglichst wenig Aufsehen zu erregen, Rafael Sharabi Donnerstagnacht zum Tatort gebracht und zugesehen, wie der Vater Maalul, der Ofer mimte, gegen eine der Zimmerwände stieß. Weil die Tat schon geraume Zeit zurücklag, waren in Danits Zimmer keine Kampfspuren oder andere Anzeichen der gewalttätigen Auseinandersetzung mehr zu finden. Rafael Sharabi schubste Maalul gegen eine rosafarben gestrichene Wand, die zum Teil von einem Regal mit Spielsachen eingenommen wurde, und danach stieß er ihn gegen eine andere, weiß gestrichene Wand.
Als Ilana ihm die Nachstellung des Tathergangs schilderte, fiel Avraham Avraham plötzlich die Zeugenaussage ein, die Seev Avnis Frau am ersten Tag der Ermittlungen gemacht hatte. Sie hatten in der Küche von Avnis Wohnung gesessen, sie mit ihrem kleinen Sohn im Arm, und Michal Avni hatte sich an einen lautstarken Disput oder Streit erinnert, den sie aus der darüberliegenden Wohnung gehört zu haben meinte. Sie war sich fast sicher, dass dies am Dienstagabend gewesen war. Immerhin hatte er ihre Zeugenaussage nicht einfach abgetan, sondern hatte versucht, sie durch Aussagen anderer Nachbarn bestätigt zu bekommen, aber ohne Erfolg. Dennoch, es hatte alles dort vor ihm gelegen.
»Ab wann hast du Urlaub?«, fragte Ilana. »Vielleicht Anfang nächster Woche. Ich habe noch keinen Antrag eingereicht.«
»Und wann kommst du zurück?«
»Ich weiß noch nicht, wie lange ich nehme«, antwortete Avraham. Gedanken hatte er sich schon gemacht, war aber noch nicht so weit, Ilana daran teilhaben zu lassen.
Ihr Zimmer hatte er immer gemocht. Die Aufnahme der Lions Gate Bridge, die bekannten Gesichter auf den anderen Bildern, das Fenster, das nur für ihn
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