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Axis

Axis

Titel: Axis Kostenlos Bücher Online Lesen
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Wände.
    Er sah den Ascheregen. Für seine Augen war es ein Sternensturm, jedes einzelne Element scharf umrissen und zugleich alles miteinander verschmelzend. Hell, ja, aber auch durchsichtig: Er konnte hindurch sehen – Richtung Westen.
    Die Maschinen der Hypothetischen fielen nicht beliebig herab, sie konzentrierten sich auf den Ort, an dem sich etwas sehr Altes aus der Erde erhob. Es hatte sich in seinem Schlaf geregt wie ein träger Behemoth, und der Erdboden war erzittert, die Bohrtürme waren umgestürzt, die Pumpen und Pipelines waren zerbrochen. Immer wieder hatte es sich geregt, während immer mehr Asche fiel.
    Auch jetzt regte es sich, mit aller Macht. Diesmal erzitterte die Erde nicht nur, sie geriet in Aufruhr, und auch wenn der menschliche Teil von Isaac blind war in der Dunkelheit, konnte er das Ächzen des Steins und das Krachen der einstürzenden Wände hören. Er spürte einen Ansturm fauliger Luft, das Atmen wurde wieder mühselig und schmerzhaft.
    Doch all das spielte keine Rolle für jenen Teil von ihm, der sehen konnte.
    Das ist eine Maschine, dachte er, während er sah, wie sich die riesige Struktur fast zweihundert Kilometer weiter westlich aus der Wüste stemmte. Eine Maschine, ja, aber sie war auch lebendig – das eine schloss das andere nicht aus. Die Stimme in ihm, die einst Jason Lawtons Stimme gewesen war, sagte: Eine lebende Zelle ist eine aus Protein gemachte Maschine; was da vom Himmel fällt, was sich da aus der Erde erhebt, ist Leben mit anderen Mitteln.
    Die Struktur ähnelte dem Torbogen – oder den Bildern von diesem Bogen, die Isaac gesehen hatte. Es war ein gewaltiger Halbring, der aus dem gleichen Stoff bestand wie die Asche, verdichtet und anders angeordnet, auf eine Weise, die gegen Naturgesetze verstieß, für die Isaac keinen Namen hatte, die Jason Lawtons Gedächtnis aber mit Begriffen wie »starke Kraft« und »schwache Kraft« verband. Er war wunderschön, ein Regenbogen, der in zahllosen unbenannten Farben funkelte. Es war ein Bogen, der zum Durchqueren gedacht war – doch er führte nicht zu einem anderen Planeten.
    Eben jetzt wurde er durchquert. Aus der vollkommenen Schwärze in seinem Inneren, wo selbst Isaac nichts mehr sehen konnte, stiegen leuchtende Wolken zu den Sternen auf.
     
    Der Gedanke an Jason ließ Diane nicht los, auch nicht nach ihrer Verletzung.
    Das Erdbeben war in einer schnellen Abfolge heftiger Stöße verlaufen, so viel hatte sie noch begriffen, und sie war auch imstande gewesen, ihre Furcht, zumindest in den ersten Augenblicken, zu unterdrücken. Dann war das Gebäude eingestürzt.
    Das jedenfalls war ihre instinktive Schlussfolgerung gewesen, als sie einen heftigen Schlag gegen die rechte Schulter und den Hals gespürt hatte, gefolgt von Benommenheit oder sogar einer kurzen Bewusstlosigkeit, und das gefolgt von Schmerz, Übelkeit, Atembeschwerden. Sie schnappte nach Luft. Ein wenig strömte in ihre Lunge, aber nicht genug, nicht annähernd genug.
    »Liegen Sie still!« Die Stimme war ein kehliges Krächzen. Anna Rebka? Nein, Sulean Moi. Diane wollte antworten, konnte aber nicht – ihre Lunge tat nichts anderes, als sich zusammenzukrampfen. Sie versuchte, sich auf die Seite zu drehen, um sich, wenn sie sich übergeben musste, nicht selbst zu beschmutzen.
    Dabei stellte sie fest, dass die linke Seite ihres Körpers taub war.
    »Ein Teil der Decke ist auf Sie gefallen«, sagte Sulean.
    Diane würgte. Es kam nichts heraus, wofür sie dankbar war. Und die Erdstöße hatten aufgehört, das war gut. Sie versuchte, ihre Verletzungen abzuschätzen, doch sie konnte im Moment nicht klar genug denken, nicht solange ihr Körper so verzweifelt um Luft kämpfte. Sie hatte Schmerzen. Und Angst. Keine Angst vor dem Tod, im Gegenteil: Das hier, das war der Grund, warum Menschen den Tod wählten – um diesem Schmerz, diesem Leiden ein Ende zu machen.
    Sie dachte wieder an Jason – warum hatte sie an Jason gedacht? – und dann an Tyler, ihren verstorbenen Mann. Und dann wurden selbst diese Gedanken zu schwer und sie verlor wieder das Bewusstsein.
     
    Isaac sah, dass Diane schwer verletzt war. Ihr Leuchten war zu einer flackernden Kerze geworden.
    Aber es fiel nicht leicht, darauf richtig zu achten. Er war gebannt von der Landschaft ringsum. Gebannt, weil er ein Teil von ihr war, weil er zu dieser Landschaft wurde … Doch das konnte warten. Jetzt, da sich im Westen der neue Bogen gebildet hatte – aus Granit, Magma, Gedächtnis –, gab es eine Pause.

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