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Axis

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Titel: Axis Kostenlos Bücher Online Lesen
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»verschwunden« gehört. Die örtliche Polizei war im Haus, um den Fall mit ihrer Mutter zu besprechen. Vom Flur aus lauschte Lise der Unterhaltung in der Küche. Ihr Vater hatte wie üblich seinen Arbeitsplatz verlassen, war in die gewohnte Richtung weggefahren und dann, irgendwo zwischen der Amerikanischen Universität und ihrem gemieteten Haus in den Hügeln oberhalb von Port Magellan, »verschwunden«. Es gab keine nahe liegende Erklärung, keine stichhaltigen Hinweise.
    Doch die Ermittlungen dauerten an, und Lises Mutter wurde erneut befragt, diesmal von Männern, die Anzüge statt Uniformen trugen, Männer aus dem Ministerium für Genomische Sicherheit. Mr. Adams hat Interesse an den Vierten bekundet: War dieses Interesse persönlicher Art? Hat er etwa wiederholt das Thema Langlebigkeit angeschnitten? Litt er an irgendeiner degenerativen Krankheit, die durch die marsianische Langlebigkeitsbehandlung geheilt werden konnte? Machte er sich ungewöhnlich viele Gedanken um den Tod? Hat er einen unglücklichen Eindruck gemacht?
    Und Lise erinnerte sich, wie ihre Mutter am Küchentisch saß, Unmengen von rostbraunem Roiboostee in sich hineinschüttend, und immer wieder sagte: »Nein, verdammt noch mal, nein.«
    Trotzdem bildete sich eine Hypothese heraus: Ein Familienvater in der Neuen Welt, häufig von seiner Familie getrennt, verführt von der Anything-goes-Atmosphäre hier am Vorposten einer neuen Zivilisation und von der Idee eines Vierten Alters, weiteren dreißig Jahren zusätzlich zu seiner normalen Lebensspanne… Lise musste zugeben, dass darin eine gewisse Logik lag. Er wäre nicht der Erste gewesen, den das Versprechen der Langlebigkeit von seiner Familie fortlockte. Drei Jahrzehnte zuvor hatte der Marsianer Wun Ngo Wen eine Technik zur Verlängerung des menschlichen Lebens mit zur Erde gebracht – eine Behandlung, die das Verhalten auch in anderer, weniger offensichtlicher Hinsicht veränderte. Von so gut wie allen Regierungen auf der Erde unter strengstes Verbot gestellt, zirkulierte diese Behandlung weiterhin in der Untergrundgemeinde der Terrestrischen Vierten.
    Würde Robert Adams seine Karriere aufgeben und seine Familie verlassen, um sich dieser Gemeinde anzuschließen?
    Lises instinktive Antwort war dieselbe wie die ihrer Mutter: Nein. Das würde er ihnen nicht antun, nein, ganz gleich, wie groß die Versuchung auch sein mochte.
    Doch es tauchten Hinweise auf, die geeignet waren, diesen festen Glauben zu untergraben. Ihr Vater hatte sich mit Unbekannten getroffen, außerhalb des Campus. Leute hatten ihn zu Hause aufgesucht, Personen, die in keiner Verbindung zur Universität standen, Personen, die er nicht der Familie vorgestellt und über deren Absichten er sich nur sehr vage geäußert hatte. Und die Vierten-Kulte übten einen besonderen Reiz gerade auf Akademikerkreise aus: Die Behandlung war ursprünglich von dem Wissenschaftler Jason Lawton in Umlauf gebracht worden – er gab sie an Freunde weiter, die er für vertrauenswürdig hielt –, und sie hatte sich vor allem unter Intellektuellen und Gelehrten verbreitet.
    Nein, verdammt noch mal … Aber hatte Mrs. Adams eine bessere Erklärung?
    Hatte sie nicht. Und Lise auch nicht.
    Die Ermittlungen blieben ohne Ergebnis. Nach einem Jahr buchte Lises Mutter eine Überfahrt nach Kalifornien für sich und ihre Tochter, zwar gebeugt durch diesen Anschlag auf ihr wohlgeplantes Leben, aber nicht gebrochen. Robert Adams’ Verschwinden – und die Neue Welt im Allgemeinen – wurde zu einem Thema, das man in ihrer Anwesenheit tunlichst vermied. Schweigen war besser als Spekulieren. Lise hatte diese Lektion gut gelernt. Wie ihre Mutter hatte sie ihren Schmerz und ihre Neugier auf jenen dunklen inneren Dachboden verbannt, wo die undenkbaren Gedanken aufbewahrt werden. Jedenfalls bis zu ihrer Heirat mit Brian und seiner Versetzung nach Port Magellan. Da wurden all diese Erinnerungen wieder lebendig: Die Wunde brach auf, als wäre sie nie verheilt, und ihre Neugier, stellte sie fest, war in der jahrelangen Verbannung gleichsam destilliert, war von der Neugier eines Kindes zur Wissbegierde einer Erwachsenen gereift.
    Und so begann sie, die Kollegen und Freunde ihres Vaters zu befragen, von denen einige noch in der Stadt lebten, und dabei kam unweigerlich auch die Gemeinde der Vierten in der Neuen Welt zur Sprache.
    Brian bemühte sich zunächst, ihr zu helfen. Er war nicht sonderlich begeistert über ihre Ad-hoc-Ermittlung in einer Angelegenheit, die er

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