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Axis

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Titel: Axis Kostenlos Bücher Online Lesen
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es musste – die Küstenstraße war inzwischen weitgehend geräumt –, sondern weil er es konnte.
    Aber ewig bleiben konnte er nicht. Einen weiteren Vormittag vertrödelte er noch, nahm sich viel Zeit mit dem Frühstück, während Lise mal wieder telefonierte. Erstaunlich, wie viele Freunde, Bekannte, Verbindungen nach Hause sie hatte. Daneben kam er sich vergleichsweise unpopulär vor. Die einzigen Anrufe, die er an diesem Morgen tätigte, gingen an Kunden, deren Flüge verlegt oder abgesagt werden mussten – wobei er sich Absagen momentan eigentlich nicht leisten konnte –, und an einige Kumpel, Mechaniker vom Flugplatz, die sich womöglich fragten, warum er sich nicht blicken ließ. Er hatte nicht sonderlich viele gesellschaftliche Kontakte. Er hatte nicht einmal einen Hund.
    Lise nahm eine lange Nachricht für ihre Mutter in den Staaten auf. Man konnte nicht direkt über den Bogen hinweg telefonieren – das Einzige, was die Hypothetischen zwischen den beiden Welten passieren ließen, waren bemannte Ozeanschiffe. Doch es gab eine Flotte kommerzieller, mit Telekommunikation ausgerüsteter Schiffe, die ständig hin- und herfuhren, um aufgezeichnete Daten zu übermitteln. So konnte man sich Videonachrichten von der Erde beziehungsweise der Neuen Welt ansehen, die nur wenige Stunden alt waren. Lises Nachricht, soweit Turk es mitbekam, war eine eindringlich vorgetragene Versicherung, dass der Ascheregen keine bleibenden Schäden angerichtet habe und es so aussehe, als würde bald alles wieder aufgeräumt sein; allerdings könne man nicht erklären, was da wirklich geschehen war, es sei doch alles sehr verwirrend… Sag bloß, dachte Turk.
    Er selbst hatte Familie in Austin, Texas. Doch die hatte lange nichts mehr von ihm gehört und rechnete wohl kaum damit, dass er sich jetzt meldete.
    Auf dem Bücherregal neben Lises Schreibtisch stand eine dreibändige Ausgabe der Marsianischen Archive, auch als die Marsianische Enzyklopädie bezeichnet, das wissenschaftlich-historische Kompendium, das Wun Ngo Wen vor dreißig Jahren mit auf die Erde gebracht hatte. Die blauen Schutzumschläge waren ziemlich zerfleddert. Er griff nach dem ersten Band und blätterte darin. Als Lise endlich das Telefon aus der Hand legte, fragte er: »Glaubst du an das hier?«
    »Es ist keine Religion. Es ist nichts, woran man glauben muss.«
    In den Jahren des Spins hatten die technologisch führenden Nationen der Erde die Ressourcen aufgebracht, um den Planeten Mars zu terraformen und zu kolonisieren. Die nützlichste Ressource war bereits von den Hypothetischen bereitgestellt worden: die Zeit. Jedes Jahr, das auf der Erde unter der Spinmembran verstrich, entsprach Tausenden von Jahren im übrigen Universum. Die biologische Transformation des Mars – von Wissenschaftlern »Ökopoiesis« genannt – war, auf der Grundlage dieser Zeitdiskrepanz, relativ leicht zu bewerkstelligen. Die menschliche Besiedlung des Roten Planeten war ein ungleich riskanteres Unterfangen.
    Über Jahrtausende von der Erde isoliert, hatten die Kolonisten eine an ihre wasserarme und stickstofflose Umwelt angepasste Technologie geschaffen. Sie waren Meister der biologischen Manipulation und hegten einen grundsätzlichen Argwohn gegen überdimensionierte Bauten und Maschinen. Die Entsendung einer bemannten Expedition zur Erde war ein Akt der Verzweiflung, als es Anzeichen dafür gab, dass die Hypothetischen auch den Mars mit einer Spinmembran einhüllen würden.
    Wun Ngo Wen, der sogenannte marsianische Gesandte - Turk fand ein Foto von ihm, als er in dem Band blätterte: ein kleiner, dunkelhäutiger Mann mit vielen Falten –, traf in einem der letzten Spinjahre ein. Die irdischen Regierungen hofierten ihn ausgiebig, bis deutlich wurde, dass er keine schnelle Lösung für ihre Probleme anzubieten hatte. Doch setzte Wun sich dafür ein – und wirkte bei der Realisierung mit –, auf dem Mars entwickelte quasibiologische Sonden ins äußere Sonnensystem zu schießen: selbstreproduzierende Apparaturen, deren Aufgabe es war, Informationen zurückzusenden, die ein Licht auf die Natur der Hypothetischen warfen. Und in gewisser Weise hatten sie auch Erfolg; das Netzwerk der Sonden wurde von einer bereits existierenden Ökologie selbstreproduzierender Apparaturen absorbiert, die in den Tiefen des Weltraums lebten und sozusagen den physischen »Körper« der Hypothetischen bildeten, wie manche glaubten. Turk hatte keine Meinung dazu.
    Die Version der Archive, die Lise besaß, war

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