Axis
er jedenfalls, ausgiebig benutzt.
Sie bemerkte, wie er sich umsah, und führte sich die eigene Wohnung vor Augen: die breiten Fenster nach Osten, die Videoanlage, die kleine Bücher- und Mediensammlung. Welchen Eindruck hatte er wohl davon? Einen von besseren Verhältnissen vermutlich, verglichen mit dem, was er »seinen Wohnwagen« nannte, und ein bisschen zu heimatlich, zu offensichtlich ein importiertes Stück USA, obwohl die Wohnung noch ganz neu für sie war, immer noch tendenziell unbewohnt: eben der Ort, wo sie nach der Trennung von Brian ihre Sachen untergebracht hatte.
Nicht dass er derlei Gedanken zu erkennen gegeben hätte. Er verfolgte den lokalen Nachrichtensender. Es gab drei Tageszeitungen in Port Magellan, doch nur einen Nachrichtensender, beaufsichtigt von einem höflichen und auf komplexe Weise multikulturellen Beirat. Er sendete in fünfzehn Sprachen und war in jeder dieser Sprachen meist herzlich uninteressant. Aber jetzt gab es ja etwas Aufregendes zu berichten. Ein Kamerateam hatte sich in den Ascheregen begeben, während zwei Kommentatoren Warnhinweise aus den diversen Ministerien verlasen.
»Mach mal lauter«, bat Lise.
Die Kreuzung Portugal Street und Tenth war gesperrt, wodurch es einem Haufen verzweifelter Touristen verwehrt blieb, zu ihren Kreuzfahrtschiffen zurückzukehren. Der Funkverkehr war durch atmosphärische Störungen beeinträchtigt, die Kommunikation mit den Schiffen auf See immer wieder unterbrochen. Ein regierungseigenes Labor unternahm eilige Analysen der Asche, aber bislang gab es noch keine Ergebnisse. Hier und da wurden Atmungsprobleme gemeldet, doch deutete wieder nichts darauf hin, dass die Asche eine unmittelbare Gesundheitsgefährdung darstellte. Spekulationen, wonach eine Verbindung zwischen dem Ascheregen und dem alljährlichen Meteorschauer bestand, konnten derzeit nicht bestätigt werden. Die Behörden gaben allen Bürgern den Rat, Ruhe zu bewahren, Fenster und Türen geschlossen zu halten und abzuwarten.
Danach kam nichts Neues mehr. Lise benötigte keine Reporter, um zu merken, dass das Leben in der Stadt weitgehend zum Stillstand gekommen war. Die üblichen Nachtgeräusche waren verstummt, abgesehen vom gelegentlichen Sirenengeheul der Rettungsfahrzeuge.
Turk schaltete den Ton aus und sagte: »Meine Sachen müssten inzwischen sauber sein.« Er holte sein T-Shirt und die Jeans aus dem Wäschetrockner und trug sie ins Bad, um sich anzuziehen. Draußen in der Mohindar Range war er weniger verschämt gewesen. Aber das galt für sie genauso.
Lise richtete das Sofa als Bett für ihn her. »Wie wär’s mit einem Schlummertrunk?«, fragte sie dann.
Er nickte.
In der Küche goss sie den Rest Weißwein in zwei Gläser. Als sie ins Wohnzimmer zurückkam, hatte Turk die Jalousien aufgemacht und spähte hinaus in die Dunkelheit. Ein auffrischender Wind trieb Asche am Fenster vorbei. Sie konnte es ein wenig riechen, den Schwefelgestank.
»Erinnert mich an Diatomeen«, sagte Turk, während er sein Glas entgegennahm.
»Wie bitte?«
»Nun, draußen im Ozean gibt’s doch Plankton, nicht wahr? Mikroskopisch kleine Tiere. Sie bilden eine Hülle aus. Dann stirbt das Plankton, die Hülle sinkt ab und sammelt sich unten zu einer Art Schlick, und wenn man den aus dem Wasser holt und unter das Mikroskop legt, dann sieht man all diese Planktonskelette – Diatomeen, kleine Sterne, Stachel und so weiter.«
Lise beobachtete die vorbeischwebende Asche und dachte über Turks Analogie nach. Die Überreste einst lebender Dinge, die durch die Atmosphäre sickern. Die Hüllen toter Hypothetischer.
Für ihren Vater wäre das keine Überraschung gewesen.
Ihr Telefon klingelte wieder, und diesmal ging sie ran: Sie konnte die Außenwelt nicht auf ewig von sich fernhalten, musste beunruhigten Freunden versichern, dass mit ihr alles in Ordnung war. Für einen Moment – und nicht ohne Schuldgefühl – hoffte sie, dass der Anrufer nicht Brian war, aber natürlich war er es.
»Lise? Ich habe mir riesige Sorgen um dich gemacht. Wo bist du?«
Sie ging in die Küche, wie um einen symbolischen Abstand zwischen Brian und Turk zu schaffen. »Mir geht’s gut. Ich bin zu Hause.«
»Ah, gut. Viele Leute sind es nämlich nicht.«
»Wie sieht’s bei dir aus?«
»Ich bin im Konsulat. Mit etlichen Kollegen. Wir dachten, wir harren hier aus, schlafen auf Pritschen. Das Gebäude hat einen Generator, falls der Strom ausfällt. Hast du Strom?«
»Im Moment ja.«
»Das halbe Chinesenviertel
Weitere Kostenlose Bücher