Axis
dieser Ansicht und seine Begründung klang plausibel. Der breite weiße Strand, durch eine steinige Landspitze vor der Brandung geschützt, war mit Gerippen auseinandergenommener Schiffe übersät und von Rauch und Asche Tausender Feuer geschwärzt. Turk erkannte einen doppelschaligen, der Kestrel nicht unähnlichen Tanker, eine ganze Flotte von Küstenschiffen und sogar ein Kriegsschiff, aller Flaggen und sonstiger Erkennungszeichen entledigt. Und das waren erst kürzlich eingetroffene Exemplare, bei denen das Werk der Zerstörung noch kaum begonnen hatte – über viele weitere Kilometer hinweg war der Strand voll von Stahlskeletten, in denen das Acetylenglimmern der Schweißbrenner für die passenden Lichteffekte sorgte.
Dahinter lagen die Schrotthütten, Schmieden, Geräteschuppen und Maschinenhallen der Abwracker, hauptsächlich Inder und Malayer, die mit dieser Arbeit nachträglich ihre Passage durch den Bogen abstotterten. Weiter landeinwärts, vom Morgennebel leicht verschleiert, erstreckte sich bewaldetes Hügelland bis hin zum blaugrauen Vorgebirge.
Turk konnte während des Anlandens nicht an Deck bleiben. Die übliche Methode, ein großes Schiff am Breaker Beach abzuliefern, bestand darin, es auf die Küste zufahren und dort auf Grund laufen zu lassen. Die Abwracker besorgten dann den Rest, fielen über das Schiff her, sobald die Mannschaft evakuiert war. Die Stahlteile landeten in weiter unten an der Küste gelegenen Walzwerken, die etlichen Kilometer Kabel und Aluminiumröhren wurden en gros weiterverscherbelt und sogar die Schiffsglocke, hatte Turk gehört, fand ihre Abnehmer in den buddhistischen Tempeln vor Ort. Dies war Äquatoria – jeder noch so ausrangierte Gegenstand konnte irgendeiner Verwendung zugeführt werden. Da spielte es keine Rolle, dass das Anlanden eines so großen Schiffes wie der Kestrel ein brutaler, zerstörerischer Vorgang war. Keines dieser Schiffe würde je wieder auf dem Wasser schwimmen.
Turk ging also unter Deck, als das Signal erklang, und traf in der Messe auf Tomas, der ihm entgegengrinste. Er hatte Gefallen an Tomas’ knochigem Grinsen gefunden – es sah ein wenig geistesgestört aus, war aber ganz und gar authentisch.
»Ende des Weges für die Kestrel«, sagte Tomas. »Und Ende des Weges auch für mich. Tja, jedes Huhn landet einmal auf dem Rost.«
»Wir liegen vor dem Strand in Position«, erwiderte Turk. Gleich würde der Kapitän die Schrauben rotieren lassen und das Schiff direkt an Land setzen. Die Maschinen würden im letztmöglichen Moment abgestellt werden, der Bug des Schiffes würde sich in den Sand bohren. Dann würden die Männer Strickleitern hinunterlassen und am Schiffsrumpf nach unten klettern; ihre Seesäcke würden folgen; Turk würde seine ersten Schritte im Splitt von Breaker Beach machen. Und nach einem Monat würde die Kestrel wenig mehr sein als eine Erinnerung und ein paar tausend Tonnen recyceltes Eisen, Aluminium und Stahl.
»Jeder Tod ist auch eine Geburt«, sagte Tomas. Er war alt genug, dass man ihm derartige Sprüche durchgehen ließ.
»Kann ich nicht beurteilen.«
»Nein? Du scheinst mir jemand zu sein, der mehr weiß, als er zeigt. Ende der Kestrel. Aber dein erstes Mal in der Neuen Welt. Da hast du deinen Tod – und die gleichzeitige Geburt.«
»Wenn du es sagst.«
Turk spürte, wie die betagten Maschinen der Kestrel zu rütteln begannen. Das Anlanden würde zwangsläufig eine heftige Angelegenheit werden. Alle losen Gegenstände auf dem Schiff waren verstaut oder mit den Rettungsbooten an Land geschickt worden. Die halbe Crew war bereits am Strand.
»Wow«, rief Tomas, als die Vibration die Stuhlbeine erfasste. »Nehmen Geschwindigkeit auf, aber hallo.«
Turk fuhr gern zur See, und es machte ihm auch nichts aus, sich unter Deck aufzuhalten, doch es gefiel ihm überhaupt nicht, in einem fensterlosen Raum zu verharren, während ein absichtlich herbeigeführtes Schiffsunglück bevorstand. »Hast du so etwas schon mal gemacht?«
»Nicht von dieser Warte aus. Aber ich war mal vor Jahren auf einem Abwrackstrand in der Nähe von Goa und hab gesehen, wie ein altes Containerschiff auf Grund gelaufen ist. War nicht viel kleiner als dieses hier. Da steckte im Grunde sogar eine Art Poesie drin. Ist die Flutlinie hochgekrochen wie eine dieser Schildkröten, wenn sie ein Ei zu legen versuchen. Ich meine, man wird sich schon irgendwie festhalten müssen, aber so richtig brutal ist es eigentlich nicht.« Tomas sah auf seine Uhr, die wie
Weitere Kostenlose Bücher