Axis
verließ die Küstenstraße an einem nicht beschilderten Schotterpfad, der zu den sogenannten New Delhi Fiats führte, einer Barackensiedlung auf einem Plateau zwischen zwei Bächen, unter einem Steilhang gelegen, der mit jeder Regenzeit ein bisschen weiter abbröckelte. Die Wege zwischen den in Reihen stehenden Fertighäusern chinesischer Machart waren unbefestigt, die Schönwetterhütten waren mit Teerpappe für die Dächer und Isolierplatten, die man aus den Ramschfabriken küstenaufwärts geholt hatte, gegen raueres Klima aufgerüstet worden. Es gab keine Polizei hier, keine eigentliche Autorität außer der, die von Kirchen, Tempeln und Moscheen ins Feld geführt werden konnte. Da die Bulldozer nicht bis in die Nähe der Fiats vorgedrungen waren, waren die schmalen Gassen jetzt von Schlammdünen verstopft. Allerdings hatte man die Hauptstraße weitgehend freigeschaufelt, sodass es Turk nur wenige zusätzliche Minuten kostete, um zu Tomas Ginns Haus zu gelangen – eine arsengrüne Bruchbude, zwischen zwei andere exakt gleiche gezwängt.
Er stellte das Auto ab, stapfte durch einen dünnen Schleim aus nasser Asche zur Eingangstür und klopfte. Als keine Antwort kam, klopfte er noch einmal. Ein faltenreiches Gesicht erschien hinter dem Vorhang des kleinen Fensters zur Linken, dann ging die Tür auf.
»Turk!« Tomas’ Stimme klang, als hätte man sie durch Felsgrund gefiltert, eine Altmännerstimme, allerdings fester als zu der Zeit, als Turk ihn kennengelernt hatte. »Dich hätte ich nicht erwartet. Schon gar nicht mitten in diesem Tohuwabohu. Komm rein. Die Bude sieht aus wie’n Saustall, aber einen Drink kann ich dir immer noch anbieten.«
Turk trat ein. Tomas’ Heim war nicht viel mehr als ein einzelner dünnwandiger Raum mit einem zerschlissenen Sofa und einem Tisch an einem Ende und einer Miniküche am anderen, das alles trüb beleuchtet. Das E-Werk von Port Magellan hatte keine Kabel in diese Gegend gelegt – Elektrizität kam allein aus einer Photovoltaik-Anlage auf dem Dach, und die war durch den Staubregen beeinträchtigt worden. Ein Aroma von Schwefel und Talk schwebte im Zimmer, doch das kam hauptsächlich von der Asche, die Turk mit eingeschleppt hatte. Auf seine Weise war Tomas ein gewissenhafter Hausmann: Der »Saustall« zeichnete sich lediglich dadurch aus, dass ein paar leere Bierflaschen auf dem schmalen Küchentresen standen.
»Setz dich doch«, sagte Tomas und nahm selbst auf einem Stuhl mit einer Delle im Sitz Platz, die seinen knochigen Hintern nachformte. Turk wählte das am wenigsten verschlissene Sitzkissen auf dem Sofa seines Freundes aus. »Kannst du das fassen, was da für eine Scheiße aus dem Himmel fällt? Ich meine, wer hat denn nach so was verlangt? Ich musste mir gestern den Weg freischaufeln, nur damit ich einkaufen gehen konnte.«
»Ja, kaum zu fassen«, musste Turk zugeben.
»Also, was führt dich her? Nicht nur Nachbarschaftsgeist, nehme ich mal an, bei dem Wetter. Falls man es als Wetter bezeichnen kann.«
»Möchte dir eine Frage stellen.«
»Antwort oder Gefallen?«
»Zuerst mal eine Antwort.«
»Was Ernstes?«
»Könnte sein.«
»Okay. Willst du ein Bier? Um den Staub aus dem Hals zu kriegen?«
»Keine schlechte Idee.«
Turk hatte Tomas an Bord eines uralten Tankers kennengelernt, auf dessen letzter Fahrt nach Breaker Beach.
Das Schiff, die Kestrel, war Turks Eintrittskarte in die Neue Welt. Er hatte als Vollmatrose zu minimalem Lohn angeheuert, die ganze Mannschaft hatte das getan, denn es war eine Reise nur in eine Richtung. Auf der Erde war ein Riesenschiff wie die Kestrel eine Belastung, zu alt, um den internationalen Bestimmungen zu genügen, allenfalls für den Küstenhandel noch zu gebrauchen. Sie zu verschrotten wäre jedoch zu teuer gewesen. Jenseits des Bogens, in der Neuen Welt dagegen, boomte der Markt für Alteisen und -stahl, hier stellte derselbe rostige Schiffsrumpf eine Quelle wertvollen Rohmaterials dar, ausgeschlachtet von den mit Acetylen bewaffneten Armeen thailändischer und indischer Arbeiter, die ihrem Broterwerb unbehindert von irgendwelchen Umweltschutzbestimmungen nachgingen – die professionellen Abwracker von Breaker Beach, etwa hundertfünfzig Kilometer nördlich von Port Magellan gelegen.
Turk und Tomas hatten auf dieser Reise die Messe geteilt und dabei das eine oder andere voneinander erfahren. Tomas war in Bolivien geboren, aber, wie er sagte, in Biloxi aufgewachsen und hatte dort wie auch später in New Orleans von
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